Magie, zeitgenössisch: Das Künstlerhaus wird zur „Wunderkammer“

Kultur

Eine Gruppenschau der Künstlervereinigung besinnt sich auf die Anfänge des Museums und die Qualität des Staunens.

Die Urform des Museums war, aus heutiger Sicht betrachtet, ein ziemlicher Sauhaufen. Eine Unterscheidung zwischen Wundern der Natur, der Technik und der Kunst war noch nicht wirklich erfunden, und so wurde alles gesammelt: Narwalzähne, die man freilich als Beweis für die Existenz von Einhörnern ansah; Steine aus den Gedärmen von Ziegen, denen man allerhand heilsame Wirkungen unterstellte („Bezoare“), mechanische Spielzeuge, technische Geräte und Kunsterzeugnisse aller Art. 

Die Kunst- und Wunderkammer auf Schloss Ambras in Innsbruck galt im 16. Jahrhundert als bedeutendste ihrer Zeit, ihre Schätze sind am originalen Ort, wenngleich nicht mehr im ursprünglichen Umfang, noch zu besichtigen. Vor allem aber lebt die Wunderkammer als Idee weiter: Als Sehnsuchtsort einer überschaubareren, magischen Welt, in der man sich der Illusion hingeben darf, die Realität ließe sich auf irgendeine Art ordnen. 

Helmut Pokornig

Nun also ist im Wiener Künstlerhaus eine Wunderkammer entstanden – als Gruppenausstellung, die auch den Zweck erfüllt, Mitglieder der Künstlervereinigung mit ihren Arbeiten vorzustellen. Der Künstlerische Leiter Günther Oberhollenzer, nach eigenen Angaben früh von einem Besuch der Ambraser Wunderkammer geprägt, hat einen vielfältigen Parcours zusammengestellt, der Dichte und Überladung gekonnt mit der Anforderung ausbalanciert, den einzelnen Beiträgen genug Luft zu geben. Vom Eingangssaal, in dem eine Wand voll dicht aneinander gehängter Bilder und Objekte gleich einmal alle Teilnehmenden vereint, geht es seitwärts, vorbei an Dioramen und Holzskulpturen, in fokussierte Raum- und Bildwelten. 

Zerteilt und gekocht

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„Kulinarisch“ im wörtlichen Sinn wird der Rundgang bei Johannes Russ, der riesige, hochaufgelöste Fotos von Tieren zeigt: Für das Bild eines Schweins, eines Hirschen oder eines Stiers wurden jedoch die entsprechenden Fleischteile vom Schulterscherzel bis zum Tafelspitz verkocht und am Ort der entsprechenden Körperteile wieder arrangiert. Das Video einer Aktion – zuletzt beim Pfingstfest auf Hermann Nitschs Schloss Prinzendorf durchgeführt – zeigt den Weg des Stiers vom Schlachthof bis zum Gericht, das nach der Anfertigung der Fotos auch verspeist wurde. 

Johannes Rass/Bildrecht Wien

Der Kunsthistoriker denkt beim Anblick der Komposit-Tiere freilich eher an die aus Lebensmitteln zusammengesetzten Gesichter eines Giuseppe Arcimboldo, der vom Sammler und Wunderkammer-Freak Kaiser Rudolf II. sehr geschätzt wurde. Zusammengesetzte Tiere waren überhaupt ein Hit in Wunderkammern, und Künstlerinnen wie Ramona Schnekenburger nehmen in großformatigen Gemälden darauf Bezug.  

Sammeln als kreativer Akt

Das Sammeln als kreativer Akt, der ein Ding erst zum Wunder macht, ist ein weiterer Strang in der Schau: Die minutiös arrangierten Knochen des Niederösterreichers Mario Wesecky oder die wie undefinierbare Fossilien anmutenden Wurzel-Objekte, die Elli Schnitzer zur Kunst erhebt, bleiben hier im Gedächtnis. Gemalte Innenansichten eines imaginären Museums, die Franziska Maderthaner um 2004 malte, rücken die Sammlungsidee näher an den Mahlstrom der modernen und zeitgenössischen Kunst. 

Geschichtsbesessen, geschichtsvergessen

Einen zwingenden Anschluss an die Gegenwart aber schafft die Ausstellung nicht: Denn der Umstand, dass zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler vom Wunderkammer-Prinzip inspiriert sind und es in ihre Arbeit integrieren, erklärt noch nicht unbedingt, warum diese Ästhetik im Hier und Jetzt so dringend benötigt wird. 

Zudem sind die Künstlerhaus-Mitglieder beileibe nicht die ersten, die diesen Weg beschreiten: Konzeptkünstler …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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