Martin Pollack dokumentierte die NS-Geschichte Österreichs anhand seiner eigenen Familiengeschichte. Am Freitag ist der Schriftsteller mit 80 Jahren gestorben
Er lebte das „Niemals Vergessen“. Sein Blick beharrte auf dem Gewesenen, das für viele das Vergangene war. In seinem dokumentarischen Erzählen hat der 1944 in Bad Hall geborene Schriftsteller und Journalist Martin Pollack vieles vor dem Vergessenwerden bewahrt. Seine Bücher dokumentieren Geschichte, insbesondere die eigene NS-belastete Familiengeschichte.
Aufgewachsen in Linz und im niederösterreichischen Amstetten, studierte Martin Pollack Slawistik – als Kontrapunkt zum nationalsozialistisch geprägten Elternhaus. Er wurde Journalist, arbeitete als Spiegel-Korrespondent in Mittel- und Osteuropa. Er erlebte die Wende 1989 auf dem Prager Wenzelsplatz mit und berichtete bald darauf aus Warschau, wo er bis 1998 das Spiegel-Büro leitete. Darüber hinaus war Pollack Übersetzer aus dem Polnischen sowie Autor zahlreicher Erzählungen und Reportagen. Mit der Übersetzung der Werke des Reporters Ryszard Kapuściński trug Pollack zu dessen Bekanntheit bei. Zudem übersetzte er Werke von Autoren, die sich mit Antisemitismus und Holocaust auseinandersetzten.
Auch in seinen bekanntesten eigenen Büchern („Der Tote im Bunker“, „Anklage Vatermord“) ging Pollack Fragen nach der Entwicklung des Antisemitismus zum organisierten Massenmord des Holocaust nach. Handelte es sich dabei um literarischen Journalismus oder um journalistische Literatur? Sein Freund und Wegbegleiter Christoph Ransmayr sagte über ihn: „Martin Pollack berichtet mit der Genauigkeit eines leidenschaftlichen Historikers und der Vorstellungskraft eines Erzählers.“ Martin Pollack erinnerte an die Verbrechen, auch wenn die Täter in der eigenen Verwandtschaft saßen. Vor allem über den Vater, der 1943 in Slowenien versteckte Juden jagen ließ, hat er geschrieben. Diese Verbrechen kleinzureden, hieße, sich schuldig zu machen, sagte Pollack.
Der Tote im Bunker
In seinem 2004 erschienenen Buch „Der Tote im Bunker – Bericht über meinen Vater“, näherte er sich speziell Slowenien. Martin Pollack wusste wenig über seinen früh verstorbenen Vater, den SS-Sturmbannführer und Gestapo-Beamten Gerhard Bast. Das familiäre Schweigen war erdrückend. Als Teenager begann er, Fragen zu stellen. Mehr als ein halbes Jahrhundert später gelang es ihm, die Lebensumstände seines biologischen Vaters nachzuzeichnen. Pollack, der den Namen seines Stiefvaters trug, war drei, als Bast ermordet wurde. Über ihn hörte er immer nur, er sei ein „anständiger Mensch“ gewesen. Bei seinen Recherchen musste Pollack entdecken, dass Bast nicht nur ein Nazimitläufer, sondern ein polizeilich gesuchter Kriegsverbrecher gewesen war, der persönlich die Verantwortung für Morde an vielen Tausenden Menschen trug.
Dieses Wissen sei eine Belastung für ihn gewesen, sagte Pollack damals in einem Interview mit dem KURIER. Eine ursprünglich vage Vermutung hatte ihn 2003 die Spurensuche in Südtirol aufnehmen lassen. Er hatte die Recherche lange hinausgeschoben – aus Angst, er könnte „bei der Spurensuche auf Dinge stoßen, die meine ohnehin schlimmen Erwartungen noch übertreffen würden“, wie er schrieb.
Das Buch, sagte er, habe er nicht nur für sich selbst geschrieben sondern weil er glaube, dass es wichtig sei, Geschichte zu erzählen. Auch als „ein Stück Mentalitätsgeschichte. Ich wollte zu den Wurzeln zurückgehen, schauen, von wo kommt das Ganze.“
Am Freitag ist der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller im Alter von 80 Jahren seinem langjährigen Krebsleiden erlegen. Im Mai erscheint laut Residenz Verlag unter dem Titel „Zeiten der Scham. Reportagen und …read more
Source:: Kurier.at – Kultur