Amélie Niermeyer inszenierte im Josefstädter Theater die Tragikomödie „Onkel Wanja“ von Anton Tschechow mit sehr viel Klamauk
Wenn nicht so viel Wasser, Wodka genannt, getrunken würde: Man käme im Josefstädter Theater kaum auf die Idee, dass die Handlung eigentlich in der sibirischen Pampa spielt. Denn Regisseurin Amélie Niermeyer und ihr Team haben konsequent jeden Bezug zu Russland eliminiert. Vielleicht ob des Krieges gegen die Ukraine, vielleicht um die Allgemeingültigkeit von Anton Tschechows Stück zu betonen.
Zudem haben sie „Onkel Wanja“ in die 1980er-Jahre verlegt. Allerdings ist niemals vom damals aktuellen sauren Regen die Rede, sondern, erstaunlich hellseherisch, von den Waldbränden und anderen Wetterextremen der Gegenwart.
Christian Schmidt jedenfalls hat auf der Drehbühne ein wirklich spektakuläres, geradezu mondänes Landgut im westlichen „Schöner Wohnen“-Stil errichtet. Da harmonieren die massiven Steinmauern samt eingelassenem Kamin im Salon mit den holzvertäfelten Wänden, da gibt es gediegene Messing-Kandelaber entlang der Treppe und einen Rundbogendurchgang zur Einbauküche.
Es gibt zudem ein Telefon mit Wählscheibe, ein Transistorradio und einen Plattenspieler. Denn zwischendurch legt man den Disco-Hammer „You Make Me Feel“ von Aids-Opfer Sylvester oder die Super-Schnulze „All by Myself“ von Eric Carmen auf. „Should I Stay or Should I Go Now“ von The Clash erklingt kurz – und als durchgehendes Motiv immer wieder „Love Will Tear Us Apart” von Joy Division (in mehreren Versionen).
Es wird auch wirklich gekocht – in Email-Reindln (vor der Pause riecht es aufdringlich nach Spiegeleiern, später nach Spaghetti carbonara). Man könnte fast meinen: Das Haus, alles andere als desolat, spielt die Hauptrolle – und nicht der leidgeprüfte Wanja, der, wie auch der Kassandrarufer Astrow, der schönen Jelena vollkommen verfallen ist.
Rita Newman
Weil der andauernd rotierende Architekturmonolith mit dem Rückzugsort Badezimmer im Obergeschoss derart dominiert, gibt es kein Außen, daher auch keinen Garten (im dem der erste Akt eigentlich spielt). Und den Wald sieht man vor lauter Bäumen nur in Projektionen. So fließt nebenbei gehörig Kritik an der Denaturierung ein.
Der große Rest (die Premiere am Donnerstag dauerte inklusive Pause fast drei Stunden) sind Klamauk und Slapstick. Der alte Professor hat schließlich mit seiner neuen Frau das durchritualisierte Landleben gehörig durcheinandergebracht. Ob dieser ungebetenen Eindringlinge wünscht sich Wanja, der ausgenützte Schwager, in der Not eine Familienaufstellung.
Niermeyer dürfte sich von „Dėdė Vania“ – die grandiose Produktion des Kleinen Theaters Vilnius in der Regie von Tomi Janežič war bei den Wiener Festwochen 2023 zu sehen – inspiriert haben lassen. Denn auch sie lässt live musizieren – mit E-Gitarre, Bass und Keyboard. Und auch sie setzt Brechungen ein: Nacheinander tritt eine Figur aus dem Setting, um sich direkt ans Publikum zu wenden.
Rita Newman
Im Gegensatz zu Tomi Janežič kostet Niermeyer aber nicht die süße Melancholie, die unendliche Traurigkeit aus. Das Schicksal des hässlichen Entleins – Sonja würde sich so gern den Arzt Astrow angeln, aber das falsche Luder Jelena schnappt sich ihn – berührt lange Zeit nicht wirklich. Der große Moment von Johanna Mahaffy, mit Brille und Vokuhila von Stefanie Seitz ziemlich unsexy hergerichtet, kommt erst mit dem Durchhalte-Schlussmonolog.
Aber trotz mancher Einwände: Das chaotische Treiben …read more
Source:: Kurier.at – Kultur