Retrospektive zum 70er: Wenn Erwin Wurm wütend wird

Kultur

Zum 70. Geburtstag des Kunststars Erwin Wurm blickt die Albertina modern auf sein Oeuvre. Aber seine Mitmachkunst birgt auch Risiken in aufgeladenen Zeiten.

Erwin Wurm musste einschreiten. Für seine Retrospektive in der Albertina modern hat er als brandneues Objekt eine begehbare Schule – ähnlich beengt wie sein berühmtes „Narrow House“ – aufgestellt. Erwünscht ist, dass man seinen Namen auf die Außenmauer schreibt. Da standen auch nach der Pressekonferenz schon viele Namen, aber auch „Free Palestine“. Der Künstler verlangte rasch nach einem Stift und übermalte die Slogans.

Gewaltakt

Wurm, verärgert: „Die zerstören mein Kunstwerk, das ist ein Gewaltakt. Wenn ich so jemanden erwische, dann kriegt er eine Watschn.“ Und, knapp erklärend: „Ich will damit in keinster Weise in Verbindung gebracht werden. Ich bin gegen Antisemitismus bis zum Exzess.“

Nachgerade ironisch, dass es in Wurms Schule darum geht, wie sich die Welt und die Art, wie man sie beschrieben bekommt, verändert. Wie sich komfortabel übersichtliche Weltbilder zu komplexeren Wirklichkeiten entwickelt haben, wie Wissensinhalte, die wenige Jahrzehnte zuvor als Fakten galten, heute inakzeptabel, politisch inkorrekt oder einfach falsch sind. Dafür hat Wurm historische Lehrplakate aufgehängt, etwa eine vor Binsenröckchen strotzende Afrikakarte.

APA/AFP/JOE KLAMARNeue Mitmach-Werke

Nicht nur die Schule ist in dieser Ausstellung erstmals zu sehen, auch zwei neue „One Minute Sculptures“ – einmal ein Klettergerüst, bei dem man an Beckett denken soll, und einmal eine Paarstatue, die Pullover zur freien Verfügung anbietet – wurden für die Schau neu erstellt. Denn Wurm findet allein das Wort Retrospektive schrecklich: „Ich will nicht mein eigener Archivar werden.“

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Im Gespräch mit dem KURIER beschreibt er seine Abneigung gegen das Verharren in der Vergangenheit mit einer persönlichen Anekdote: „Vor zwei Jahren hatten wir 50-jähriges Maturajubiläum und die Ex-Kollegen wussten noch, was wer in welcher Stunde gesagt hat. Die Schulzeit war das High Time of their Life! Das ist nicht meine Welt.“

Gurkerl-Parcours

Ein bisschen zurückschauen lässt sich aber nun mal nicht vermeiden in so einer Schau. Kuratorin Antonia Hoerschelmann war es dabei wichtig, sowohl Kenner anzusprechen als auch Neuentdecker. Jene, die Wurms Karriere von Anfang an verfolgen, kennen dann vielleicht schon seine Skulpturen „Sitzende“ und „Stehende II“, die mit ihren scharfkantigen Holzbrettern die späteren runden Formen in Wurms Oeuvre so gar nicht vorwegnehmen. Im selben Raum ist auch eine Staubskulptur, das sind jene Arbeiten aus den 90ern, die das „Nichts“ in den Vordergrund holen, zu sehen – und eine handschriftliche Anleitung dafür. Man nimmt Staub aus dem Saugerbeutel, füllt ihn in eine Art Sieb aus einem T-Shirt, aus dem man das Pulver herausschüttelt. Es soll so aussehen wie der Belag von etwa zwei Wochen. Wenn es nach mehr aussieht, muss man die Prozedur nochmal machen.

Erwin Wurm / Bildrecht, Wien 2024Küssende Knackwurst

Nicht fehlen darf in der Ausstellung natürlich das Essiggurkerl, Wurms bevorzugte Form des Selbstporträts, durch einen grün-krummen Podestparcours kommt man zu den innig küssenden Knackwürsten. Und das fette Auto ist auch da.

Weitere jüngere Arbeiten sind die „Träumer“, Kopfpolster mit Gliedmaßen, und Malereien, die Wurm „Flat Sculptures“ nennt. Außerdem dekonstruktive Werke, bei denen Hand und Fuß nur mehr mit einem Band verbunden sind. Manche davon laden dazu ein, …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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