
Wer den Song Contest ein bisschen kennt, der weiß: Wenn ein Herr in mächtigem Glitzerstein-Dracula-Outfit auftritt, dann passiert gleich was. Und so war es denn auch 2013 in Malmö, als Cezar mit überaus maskulinem Blick sich seinen Refrain plötzlich in unerwartet hohen Tönen entstieß. Ohne dass sich eine Frau im vampirösen Umhang versteckt hätte. Für den Rumänen Cezar brachte das damals nur den 13. Platz. Johannes Pietsch, der als JJ für Österreich heuer zum Song Contest fährt und der dort sogar höhere Töne anschlägt, werden bessere Erfolgschancen geweissagt (Platz zwei aktuell bei den Buchmachern).
Also: Neu ist das Aufschrecken des eine krude Mischung aus Folklore, Pop und Dance erwartenden Publikums mit opernhaften Klängen nicht. Besonders ab den 2000ern griffen immer wieder Länder zu der vermeintlichen Geheimwaffe. Der Einsatz von Counter, Koloratur oder anderen ausgefallenen Stimmtechniken wie Schreigesang führt allerdings zu wechselhaftem Gelingen.
Das zeigte sich schon 1965, als Schweden – damals noch weit entfernt von ABBA-Triumphen – Opernsänger Ingvar Wixell eine kleine Arie im Disneyfilm-Stil singen ließ und trotz aufmunterndem Tremolo zum Abschluss nur im Mittelfeld landete (10. von damals erst 18 Teilnehmern).
Einsingübung
Rumänien und Kroatien sind jene Länder, die dem Operngenre beim Song Contest besonders ergeben sind. Letzteres Land schickte 2017 den Tenor Jacques Houdek, der gleich doppelt auftrat – im Duett mit sich selbst (Platz 13).
Von Italien würde man sich mehr Opernliebe erwarten, aber immerhin 2015 in Wien kam das Trio Il Volo mit schwellender Brust und „Grande Amore“ auf Platz 3. Malta ließ 2004 eine Sopranistin einen Pop-Barden immer mit Einsingübungen unterbrechen – 12. Platz. Das erfolgsverwöhnte Schweden musste mit einer halblustigen Oper-Dance-Fusion 2009 mit dem 21. Platz vorliebnehmen.
Eine Kuriosität mit Opernbezug ereignete sich 1984 in Luxemburg. Beim Lied „I Treni Di Tozeur“ von Franco Battiato und Alice, eigentlich eine mit viel Schmelz gebutterte Italopop-Ballade, standen als Gimmick drei Mezzosoprane mit auf der Bühne. Sie warteten fast drei Minuten reglos auf ihren Einsatz, dann sangen sie keine sechs Sekunden eine Passage aus der „Zauberflöte“. Endstation für die „Treni“ war immerhin auf dem 5. Platz.
Die „Zauberflöte“, oder deren Königin der Nacht inspirierte offensichtlich auch den australischen Beitrag „Zero Gravity“ von 2019. Die klassisch ausgebildete Popsängerin Kate Miller-Heidke trug ein stachliges Sternendiadem, während sie Koloraturen versprühte, die von trägen, dafür pathetischen Beats begleitet wurden. Sie verbrachte den ganzen Auftritt auf sehr langen Stelzen und sah aus wie eine gepfählte Opernballdebütantin. Die Gaukelei landete auf Platz 9.
Vorsicht mit dem Glas
In den luftigen Höhen der „Königin der Nacht“ bewegt sich auch JJ. Mozart bedachte sie mit einem Notenbereich von Cis6 und B6. Die höchste Note des Songs „Wasted Love“ ist ein Cis6. Ist das womöglich der höchste Ton, der je beim Eurovision Song Contest erschallt ist?
Nein, den hat die Israelin Eden Alene 2021 ausgestoßen.
Der Überraschungseffekt bei ihrem sonst herzlich vergessenswerten Discohopser „Set Me Free“ war nicht nur ein Spitzenbody unter dem Trickkleid, sondern auch Freestylekieksen, das bis zur Note F6 anstieg. Und möglicherweise die Schnapsgläser von so manchem Song-Contest-Trinkspiel auf dem Gewissen hat.
Source:: Kurier.at – Kultur