Tangente St. Pölten: Gescheiterter deutscher Kolonialismus

Kultur

Trenklers Tratsch: Das Festival enttäuschte auf ganzer Linie. Es war ein hoch subventionierter Abklatsch der Wiener Festwochen

Vor zwei Wochen endete in St. Pölten die Tangente: sang- und klanglos, von niemandem für ein Resümee wert empfunden. Nicht einmal die finale Aktion mit der riesigen Saugglocke – von den Veranstaltern „Pömpel“ bezeichnet – als Fahnenstange für die österreichische Flagge vermochte aufzuregen. Einträchtig wetterten bloß ÖVP und FPÖ.

Marisel Bongola

Das Finale: Ein monströser Hektor als Fahnenstange

War also die recht spurlos vorübergegangene Tangente ein „Desaster“, wie die Freiheitlichen meinten? Nein, sie war eine von Hybris getragene Tragödie. Von Anbeginn an. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wollte nicht akzeptieren, dass just Bad Ischl mit 14.000 Einwohnern dem viermal so großen St. Pölten als Kulturhauptstadt Europas vorgezogen worden war: Zusammen mit SPÖ-Bürgermeister Matthias Stadler kündigte sie ein Gegenfestival an. Nicht ein Jahr davor oder danach, um Ischl samt dem Salzkammergut keine Konkurrenz zu machen, sondern gleichzeitig.

Und dieses Festival, das den kuriosen Namen Tangente erhielt, sollte der Kulturhauptstadt von der finanziellen Ausstattung her ebenbürtig sein: Elisabeth Schweeger hatte für ihr elfmonatiges Ganzjahresprogramm 30,8 Millionen Euro zur Verfügung – und der fünfmonatigen Tangente (von 30. April bis 6. Oktober) wurden stolze 17,6 Millionen zugestanden.

Das verordnete und von Paul Gessl, Chef der Niederösterreich Kulturwirtschaft (NÖKU), exekutierte Festival sollte internationalen, aber auch lokalen Künstlern eine Bühne geben. Doch zum Intendanten machte man im November 2020 aus nicht nachvollziehbaren Gründen den deutschen Dramaturgen Christoph Gurk, der kurz zuvor mit Volkstheaterdirektor Kay Voges nach Wien gekommen war und keinen Schimmer von St. Pölten hatte.

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Er suchte daher auch nicht die Nähe zur Szene: Die resolute Filmemacherin Anita Lackenberger musste viel Energie aufwenden, um sich ins Programm zu reklamieren. Gurk vergab auch keine Aufträge an Künstler, die in St. Pölten aufgewachsen sind, darunter der äußerst talentierte Regisseur Moritz Franz Beichl. Er vertraute einzig auf sein deutsches Netzwerk samt Matthias Lilienthal, der im Hintergrund agierte. Und so kam es zu einem Akt der Kolonialisierung: Vornehmlich in Berlin lebende, der Volksbühne oder der Münchner Kammerspiele nahestehende Künstler durften das Biotop, aus deutscher Sicht eine Brache, urbar machen. Was ziemlich schief ging. Schon früh mehrten sich die Anzeichen, dass die Tangente scheitern würde. Doch Gessl hielt an Gurk fest.

Erst im Juni 2023 ließ er verschämt bekannt geben, dass „eine personelle Veränderung“ anstehe: Als Nachfolger für Gurk wurde dessen sympathischer Assistent Tarun Kade verpflichtet, der auch keinen Schimmer von St. Pölten hatte. Zu jenem Zeitpunkt waren Abänderungen kaum mehr möglich.

Funktioniert hat daher nur, was ohnedies von langer Hand geplant gewesen war: Die renovierte Synagoge wurde eröffnet, das KinderKunstLabor nahm den Betrieb auf – und das Stadtmuseum steuerte die sensationelle Ausstellung „Blick in den Schatten. St. Pölten und der Nationalsozialismus“ bei, die bis 25. Mai 2025 läuft. Der große Rest war ein müder Abklatsch der Wiener Festwochen – mit „Justice“, einer Art Oper, in der Regie von Festwochenintendant Milo Rau zu Beginn.

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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