„Trotzdem“: Unverdünnter Hass und die Sucht nach dem Digitalen

Kultur

Thomas Maurer brilliert in seinem neuen Programm „Trotzdem“ als Internet-Junkie im Digital-Detox-Hotel.

Thomas Maurer ist bei den ganz harten Fällen gelandet. Sein Zimmernachbar konsumiert Reddit, 4Chan, Telegram, Truth Social – „auf Alkoholiker umgelegt saufert‘ der Wundbenzin“.

Auch Maurer, der laut Eigendarstellung natürlich überhaupt kein Internetjunkie ist, hat sich in ein im 70er-Jahre-Look dekoriertes Digital-Detox-Hotel im Waldviertel (vulgo „Woodquarter“) begeben. Und dort ist „nix“ erlaubt, also nichts, was aus dem Netz gezogen wird. Hat man etwas Berufliches zu tun, bekommt man einen Windows-Rechner zur Verfügung gestellt – ohne ablenkendes Zeug aus dem Netz. Ganz pikiert sagt Maurer: „Ich bin Künstler, ich muss auf Apple-Geräten arbeiten.“ Hat er natürlich nicht gesagt, sagt Maurer.

Der Kabarettist arbeitet diesmal mit doppeltem Boden, sein Bühnen-Ich hat aber keinen Fantasienamen. Und so erklärt Mauer dem Publikum – als „gemeinsame Realitätsübereinkunft“ – dass er freilich hier im Stadtsaal stehe und nicht im Waldviertel. Dies ist aber keine leere Pose, es geht die weiteren eineinhalb Stunden sehr viel um Realität und das, was die Nutzer von Sozialen Medien dafür halten. Der Zimmernachbar zum Beispiel sei „für die wirkliche Welt total verloren inzwischen“.

Wobei Maurer mit Netzfunden auf seinem iPad nachweist, inwieweit die Realität mittlerweile verwischt werden kann. 

Halt, Netzfunde, iPad? Ja, der Künstler, der eigentlich kein Internet-Junkie ist, hat sein Tablet in der papierenen Ausgabe der „Zeit“ ins Hotel geschmuggelt. Und wo ein Wille, da auch ein W-Lan. Der Zimmernachbar habe ihm gesteckt, dass das Hauspersonal sehr wohl per Glasfaserkabel surft, für 100 Euro könne er ihm das auch das Passwort verraten. Für den guten Zweck, er würde damit einen Rechtshilfefonds spenden (für Donald Trump). Da zögert der angebliche Abstinenzler kurz, sagt sich dann aber: „100 Euro sind nicht so viel wie drei Wochen lang.“

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© Ernesto GellesKI ist wie Palmöl

Mit den erschlichenen Gigabyte zeigt Maurer dem Publikum auf, was mit KI alles möglich ist. KI sei ja „wie Palmöl oder Zucker: Es ist in mehr Sachen drin, als man glaubt“. Etwa in einem Fake-Video, in dem Maurer selbst das Testimonial für die Kryptowährung Dogecoin aufzutreten scheint. Er lässt aber auch FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Parlamentsrede halten, in der er linkslinke Parolen schwingt, die selbst einen Andi Babler erröten lassen würden. Der perfide Verfremdungseffekt: der Kommunisten-Kickl wirkt auf der Wahrnehmungsebene total authentisch.

Dem Publikum präsentiert Maurer diese Fallbeispiele auf einem Großbildfernseher im Raucherkammerl. Auch dieser Kniff erweist sich als gefinkelte Pointe. Maurer steckt sich eine Bühnenzigarette an und dämpft sie gleich wieder angewidert aus. Denn die Rauchschwaden dienen lediglich als Tarnung für das wahre Laster: den digitalen Konsum. Und falls sich tatsächlich jemand von außen ins Kammerl wagen sollte (Maurer: „Heute raucht ja niemand mehr“), solle das Publikum „Achtung, Kasperl!“ rufen. 

Nach der Pause führt Maurer eine weitere Figur von außen ein: einen Suchttherapeuten mit persischem Akzent, der Ursachen und Auswüchse der sozialen Medien durchdekliniert.

So kann Maurer, der die Tagespolitik hier wieder ausspart, erklären, wie Facebook, X und Co. das menschliche Suchtzentrum stimulieren, warum TikTok ist „wie ein Stabmixer, der dir ins Hirn fährt“ und er die Instagram-Reels „nicht verstoffwechseln“ …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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