
Der Choreograph über seine Zeit in Wien, seine Liebe zu Tschaikowski und seinen vorläufigen Rückzug in die Schweizer Berge
Von Silvia Kargl
Mit dem dreiteiligen Ballettabend „Pathétique“ ist ab 9. April die letzte Premiere des Wiener Staatsballetts an der Staatsoper unter der Direktion Martin Schläpfers zu sehen. Nach fünf Jahren geht eine Direktionszeit zu Ende, die im Herbst 2020 während der Covid-19-Pandemie unter schwierigsten Umständen begann. Auf Schläpfers Wunsch wurde sein Vertrag nicht verlängert. Dabei hat das Ballett hohe Auslastungszahlen, das Repertoire wurde sinnvoll erweitert und Schläpfer kreierte auf hohem Niveau für die Tänzerinnen und Tänzer in Wien. Eine Tatsache spricht der 66-Jährige offen aus: Nie wieder möchte er die Funktion eines Ballettdirektors ausüben. Zu sehr schränken die administrativen Tätigkeiten das künstlerische Wirken ein.
KURIER: Wie geht es Ihnen vor Ihrer letzten Uraufführung als Direktor des Wiener Staatsballetts?
Martin Schläpfer: Mir geht es gut, abgesehen von vielem, was in der Welt passiert. Dabei mag ich das allgemeine Politikerbashing nicht. Ich meine die menschliche Schieflage, wie man miteinander umgeht, und die Situation unseres Planeten. Es gibt auch viele gute Dinge, die keinen Platz in den täglichen Nachrichten haben, viele fantastische Menschen, das macht schon Hoffnung. Aber wie lange hält unser Planet durch? Das Artensterben macht mir große Sorgen.
Haben Sie deswegen Tschaikowskis Sechste Sinfonie als Musik gewählt? Viele sehen seine letzte Sinfonie als einen Schwanengesang. Ein Symbol für Abschied?
Das könnte man durchaus suggerieren, zumal ich mich erst für diese grandiose Sinfonie entschieden habe, als mein Abschied aus Wien bereits feststand. Mir geht es aber nicht darum. Verschiedene Welten, eine Vielfalt von Emotionen – ich sehe darin ein Handlungsballett, auch wenn es keine Geschichte erzählt. Tschaikowski bleibt für mich in dieser Sinfonie der Komponist von großen Ballettklassikern. So wird der zweite Satz ein „weißer Akt“, die Klassik fließt ein. Ein Zelebrieren eines Abschieds – das wird meine Choreografie sicher nicht. Ich hatte eine tolle Zeit hier in Wien, und jetzt gehe ich weiter. Damit sich keine Empfindlichkeit einstellt, habe ich an das Ende meiner Choreografie zudem eine Arie Händels gestellt, „Süße Stille“.
Ashley Taylor
Die Stille hat einen großen Stellenwert in Ihren Choreografien, aber auch das Rätselhafte, das viele Interpretationen durch das Publikum ermöglicht.
Ja, und das hat schon viel mit Tschaikowskis Musik zu tun. Tanz kann vieles werden. Er kann symbolisch unter Wasser sein, der Raum wirkt sehr breit und sehr tief, an den Seiten offen, wie eine andere Welt. In dieser surrealen Umgebung fallen mir plötzlich reale Ereignisse ein, zum Beispiel ein Aufeinandertreffen von Donald Trump mit Kamala Harris oder auch Episoden aus dem Leben Rasputins. Männerfiguren, die immer nach Macht streben.
Weiters werden Choreografien von George Balanchine und Merce Cunningham zu sehen sein.
Als Tänzer blieb mir Balanchine fremd. Aber ja, die Neoklassik wurde für mich wichtig, und auch die Tatsache, dass Tänzerinnen und Tänzer mit seinen Stücken wachsen, nicht zuletzt auch sein Schaffen für Tänzerinnen. „Divertimento Nr. 15“ halte ich für ein großartiges, klares, pures Ballett, ganz ohne Druck und Effekthascherei. Cunningham ist ein Gegenpol zu ihm, die beiden mochten sich nicht. Dass aber beide Meisterchoreografen waren, beide …read more
Source:: Kurier.at – Kultur