Yael van der Wouden: Löffel zählen, immer die Löffel zählen

Kultur

Yael van der Woudens „In ihrem Haus“ ist eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte mit mehreren doppelten Böden.

Drei Geschwister. Ein Bruder, Louis, stellt seine neue Freundin vor. Das kommt bei ihm oft vor. Seine Schwester Isabel und sein Bruder Hendrik haben sich daher angewöhnt, keine allzu langen Halbwertszeiten bei seinen Begleitungen zu erwarten. Also: Man bemüht sich jetzt nicht extra, die Damen sympathisch zu finden. So auch nicht die neue Freundin Eva, die von allem ein bisschen zu viel ist: zu blond, zu freundlich, zu großer Hintern.

Schwester Isabel, die Hauptfigur in Yael van der Woudens „In ihrem Haus“, findet aber sowieso nicht so leicht jemanden sympathisch. Sie lebt zurückgezogen im Familienhaus, seit dem Tod der Mutter allein – und im selbst gewählten musealen Umfeld. Sie ist das, was man einen Sonderling nennt. Sie zählt täglich die Löffel. Ständig hat sie das Gefühl, bestohlen zu werden. Dass ihr etwas von den Hinterlassenschaften ihrer Mutter abhandenkommt. Dass die Familienerinnerungen auseinandergerissen werden. Dabei ist ihre einzige Verdächtige eine Haushälterin, die ab und zu kommt.

Dann quartiert Bruder Louis Eva bei Isabel ein. Sie ist gerade bei ihm eingezogen, er muss auf eine Dienstreise und sie will nicht allein sein. Für Isabel ist der unerwünschte Gast ein Super-GAU. Das erste Sakrileg ist, dass Eva in das ehemalige Zimmer von Isabels Mutter zieht. Mit wachsendem Grauen sieht Isabel, wie Eva auch noch ein Foto ihrer eigenen Mutter aufstellt. Isabel lässt Eva brutal spüren, wie unwillkommen sie ist.

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Über alle Schatten

Zu diesem Zeitpunkt ist man als Leserin und Leser doch ziemlich gefordert, Isabel zu mögen. Aber dann fehlen plötzlich wirklich Löffel. Stimmt das überhaupt oder ist es eine Halluzination der von Einsamkeit und Neurosen zerfressenen Isabel?

Mit der Frage hält sich van der Wouden nicht lange auf, sie schickt ihre Heldin gleich in die nächste emotionale Verwirrung. Denn Isabel muss sich nach und nach eingestehen, dass sie die verhasste Eva eigentlich begehrt. Nach einem Besuch von Bruder Hendrik und dessen Partner Sebastian, bei dem die extrem zugeknöpfte Isabel über ihre gesammelten Schatten springt, entsteht eine Romanze zwischen den beiden Frauen, bei der van der Wouden nicht mit dampfigen Sexszenen geizt. Und wieder bleibt einem nicht viel Zeit für die dämmernde Frage, wie gegenseitig diese Anziehung wirklich ist, denn rasch springt das Buch in ein neues Genre. Der Roman spielt 1961 in den Niederlanden und der letzte Teil holt die Rolle des Landes unter deutscher Besatzung aufwühlend ins Gedächtnis. Das wird für aufmerksame Leser keine große Überraschung sein, denn van der Wouden beginnt schon auf der ersten Seite, ihre Spuren auszulegen. Ein cleveres Konstrukt, das spannende Unterhaltung und erschütterndes Geschichtsbewusstsein vereint.

Cover

Yael van der Wouden:
„In ihrem Haus“
Gutkind Verlag.
320 Seiten. 
25,50 Euro

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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