Yasmina Reza: Sarkozy bot ein Butterkeks an

Kultur

„Die Rückseite des Lebens“. Yasmina Reza über Momente, die ein Leben aus der Bahn werfen können. Von großen Verbrechen und kleinen Unachtsamkeiten

Momentan haben viele, die einst durch gutgemachte Erzählungen mit Anfang, Ende, Wendepunkten und Figurenentwicklungen Erfolg hatten, keine Lust auf derartig Geradliniges. Lieber haucht man autobiografische Skizzen, schreibt Instagram-Zusammenfassungen oder zeichnet gemeinsam mit irgendwem irgendwas.

Die 1959 geborene Yasmina Reza hat mit Theaterstücken wie „Drei Mal Leben“ Meilensteine der Gesellschaftssatire gesetzt und in Romanen wie zuletzt „Glücklich die Glücklichen“ die Spinnereien der Mittelschicht entlarvt. Jetzt ist für die meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin der Welt Zeit für anderes gekommen.

In „Die Rückseite des Lebens“ erzählt sie anekdotisch von Drehmomenten des Daseins. Etwa dem, als Édith Scaravetti ihrem Mann Laurent Baca eine Kugel in die Schläfe jagte. Oder dem, als Dalila Ezzitouni in der Pariser Metrolinie 13 Richtung Châtillon einem schwarzen Lieferanten ein Messer in den Brustkorb rammte.

Aufgeschnappt hat Yasmina Reza das bei Strafprozessen, die sie seit vielen Jahren besucht. Etwa den um Olivier Cappelaere, der der betagten Suzanne Bailly eine Wohnung abkaufte, wo sie gegen eine Leibrente weiter wohnte. Er versuchte dann, sie zu vergiften. Drei Mal. Heute sitzt er im Gefängnis und Mme Bailly erfreut sich bester Gesundheit. Klingt wie von Reza erfunden, ist hier aber nur gekonnt nacherzählt. Zu den Momenten fremder Sonderbarkeiten kommen Rezas eigene größere und kleinere Dreh- und Angelpunkte des Lebens. Die Beobachtung von durch Venedig wandelnden Pensionisten in zu großen Pelzmänteln, die Zores mit dem italienischen Finanzamt und mit einer möglicherweise verhexten Putzfrau. Das Begräbnis eines Freundes, die tägliche Begegnung mit einem Obdachlosen und das Geständnis ihres Agenten, dass er seine Herrenhandtasche vermisst. In Rezas Stück „Der Gott des Gemetzels“ erzählt eine Frau von einem Mann, der ihr gefallen hat. Bis zu dem Moment, da er mit Männerhandtasche auftauchte. Als er das las, legte auch der Agent seine ab. Sie fehlt ihm selbst Jahrzehnte später noch, sagt er.

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Auch künstlerische Auseinandersetzungen, etwa mit befreundeten Filmemachern – Faulkner lesen ja oder nein? – sind Koordinaten auf der Karte des Lebens der Yasmina Reza. Ebenso Luc Bondy, Bruno Ganz oder der Prozess gegen den Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, über den sie ein Buch geschrieben hat. Als er sie bei Gericht trifft, bietet er ihr ein Butterkeks an.

Ob die Beschriebenen prominent sind oder nicht, ist letztlich nicht wichtig. Reza stellt Großes neben Kleines. Sie wertet nicht. Sie liebt auch die „Freunde, die ich nicht lebend gekannt habe“, etwa die Fotografin Diane Arbus. Gut gekannt und sehr geliebt hat sie hingegen den 2016 verstorbenen Schriftsteller Imre Kertész und seine Frau Magda. Berührend ist die Erinnerung an ein Treffen, zu dem die beiden zu spät kamen, weil sie so vom wundersamen Glitzern des Eiffelturms vor ihrem Hotelzimmer fasziniert waren.

Cover

Yasmina Reza
„Die Rückseite des Lebens“
Übersetzt von Claudia Hamm. Hanser.
200 S. 25,50€

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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