
Ende März wurde für Karl-Heinz Grasser und sieben weitere Beschuldigte am Obersten Gerichtshof nach 16 Jahren das Kapitel Buwog zugeschlagen. Oder auch nicht, denn zumindest für Grasser geht der „Kampf“ gegen das (aus seiner Sicht) „ungerechte Urteil“ weiter. Der Ex-Finanzminister bestreitet bis heute, seine Macht bei der Privatisierung der 62.000 Buwog-Wohnungen missbraucht und sich selbst bereichert zu haben.
Also lautet die nächste Etappe: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Grasser will dort im Wesentlichen zwei Punkte geltend machen: Erstens die lange Verfahrensdauer, zweitens eine Anscheinsbefangenheit bei Richterin Marion Hohenecker, die von 2017 bis 2020 den Prozess beim Wiener Straflandesgericht geführt hat.
Beschwerde per Formular
Der erste Schritt, den Grasser in Straßburg setzt, klingt recht profan: Er füllt ein Formular aus. „Der EGMR hat eine enorme Arbeitslast und deshalb seine Verfahren verschlankt. Die Beschwerde muss binnen vier Monaten nach dem Urteilsspruch per Formular eingebracht werden und ist deshalb auch vom Umfang her sehr begrenzt“, erklärt Verfassungsrechtsexperte Christoph Bezemek im KURIER-Gespräch.
Uni graz/Sissi Furgler Fotografie
Christoph Bezemek, Verfassungsrechtler an der Uni Graz
Zunächst erfolgt eine „Vorprüfung“ – formal und inhaltlich. Viele Fälle enden schon an diesem Punkt, etwa weil der prüfende Einzelrichter keine Verletzung erkennen kann, erklärt Bezemek. Nimmt man diese Hürde, dann geht die Causa an einen Ausschuss mit drei Richtern oder an eine Kammer, wo das eigentliche inhaltliche Verfahren geführt wird. Der EGMR kann sich Akten aus Österreich beschaffen lassen und die Republik, die in solchen Fällen „Beschuldigte“ ist, um eine Stellungnahme ersuchen; zudem kann auch eine öffentliche Verhandlung einberufen werden.
Das alles kann Jahre dauern, sagt Bezemek, und in der Zwischenzeit muss Grasser schon seine Haftstrafe antreten. Stellt der EGMR dann aber eine Verletzung des Artikel 6 der Menschenrechtskonvention, das „Recht auf ein faires Verfahren“, fest, dann hätte das schwerwiegende Folgen: Die Causa könnte im Wege einer „Erneuerung“ an die erste Instanz zurückverwiesen werden. Und der Mega-Prozess ginge von vorne los.
Vertrauen in die Justiz
Wie hoch schätzt der Experte die Chancen ein? Was Punkt eins, die lange Verfahrensdauer, betrifft, eher gering. „Der OGH hat in seiner Entscheidung ja bereits anerkannt, dass die überlange Dauer eine Verletzung des Artikel 6 bedeutet, und entsprechend die Strafe halbiert“, erklärt Bezemek. Dieser Punkt könnte also schon abgehakt sein.
Bleibt noch die Befangenheit. Konkret bringen die Verteidiger vor, dass sich der Ehemann Hoheneckers auf Twitter abwertend über Grasser geäußert hat. Der OGH hat der Richterin eine einwandfreie Verfahrensführung attestiert, es habe keinen Grund für Zweifel gegeben.
Das sieht Bezemek differenzierter: „Der EGMR geht mit der Frage der Anscheinsbefangenheit strikt um. Es muss keine klaren Auswirkungen auf das Verfahren geben. Vielmehr gilt es das Vertrauen der Öffentlichkeit in die unabhängige Justiz zu erhalten.“
Source:: Kurier.at – Politik