Die Musikerinnen, die in Auschwitz um ihr Leben spielten

Politik

Es war eine der perfidesten Foltermethoden der Nazis: das Mädchenorchester von Auschwitz. Das neue Buch der Historikerin Anne Sebba rückt die Rolle der österreichischen Dirigentin in ein neues Licht

Asche fiel wie heißer Nieselregen, erinnert sich Irene Zisblatt. Im Herbst 1944, als sie 13 Jahre alt und ein halbes Jahr im Konzentrationslager Auschwitz war. Nach der Arbeit wurden sie zu den Krematorien befohlen. Am Bahnsteig lachten die Männer in SS-Uniformen. Und dann begann die Musik zu spielen. „Es war eine andere Art, uns zu töten.“ 

Die Nationalsozialisten hatten viele perverse Foltermethoden, aber eine der groteskesten war die Gruppe  Mädchen und junger Frauen, die am Tor spielen mussten, während die Arbeitskolonnen aus- bzw. einmarschierten. Die vielleicht sogar musizierten, wenn neue Gefangene ins Lager kamen. Und die sonntags gezwungen wurden, Konzerte für die SS zu geben. Das Mädchenorchester von Auschwitz.

Eine zarte Verbindung

„Das war keine schöne Musik“, stellt die britische Historikerin Anne Sebba klar. „Es war Perversion.“ Ein grotesker Teil des Holocausts, den sie in ihrem Buch „The Women’s Orchestra of Ausschwitz“ (Weidenfeld und Nicholson Verlag) neu beleuchtet. 

https://www.weidenfeldandnicolson.co.uk/

Lange habe sie sich zurückgehalten, über den Holocaust zu berichten: sie ist keine Überlebende, keine Nachfahrin von Überlebenden. „Welches Recht habe ich?“ 

Doch dann entdeckte sie im Nationalarchiv die Armeeakte ihres Vaters. Er hatte jenen britischen Truppen angehört, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen befreiten. (In dieses Lager war eine Hälfte des Mädchenorchester gegen Kriegsende gebracht worden.)

In der dünnen Akte fand Anne Sebba just einen Eintrag vom 24. Mai 1945. Er hatte festgehalten, dass die lichtdurchfluteten Hütten des Konzentrationslagers zerstört wurden.  Am selben Tag gaben Lily Mathé und Eva Steiner noch ein Konzert für das rote Kreuz. „Ich werde es nie wissen, aber es scheint möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass mein Vater an dem Konzert teilnahm.“ 

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Grenzenlose Schwesternschaft 

Aber, harkt sie an dieser Stelle ein: „Das ist weder ein Buch über meinen Vater noch über mich.“ Es sei vielmehr ein Buch über die rund 40 Frauen aus elf Nationen, verschiedenen Religionen und Kulturkreisen, die in einer Zeit, in der Zusammenhalt bestraft wurde, einander beistanden; eine Geschichte über Schwesternschaft und über den größten Akt des Widerstands, den man in der Zeit leisten konnte: das Überleben.

Privat

Anne Sebba with Anita Lasker-Wallfisch

„Beschönige es nicht“ – liegt Anne Sebba der Satz von Orchester-Mitglied Anita Lasker-Wallfisch noch im Ohr: „Mach die Musik nicht zur Erlösung, und scheue auch nicht davor zurück, zu erzählen, wie die Frauen stundenlang beim Appell standen, während ihnen der Durchfall die Beine herunterlief. Denk nicht, dass du das nicht sagen kannst.“

Und so erzählt Anne Sebba die Details. Wie Anita Lasker entkleidet, rasiert und mit der Nummer 69388 tätowiert in den Saunablock zur Registrierung geschickt wurde. Wie sie nebenbei erwähnte, dass sie Cello spielte, und das Mädchen überrascht aufblickte: „Das ist fantastisch!“, rief es. „Du wirst gerettet.“ Wie Anita, nackt mit nur einer Zahnbürste in der Hand, von einer Frau begrüßt wurde, die Kamelhaarmantel und Kopftuch trug. 

Kapellemeisterin Alma Rosé 

Auch wenn das Buch von einem Kollektiv handelt: Eine Person sticht hervor. „Ohne Alma“, sagt Anne Sebba, „hätte es das Orchester in der Form nicht gegeben.“ Die vorherige Kapellmeisterin, …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

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