Italiens Premierministerin hat ganz genaue Vorstellungen davon, wie eine italienische Familie aussehen soll. Es wird gefördert, gefordert – und verboten.
Italien schrumpft. Am Montag hat das nationale Statistikamt die Geburtenzahlen verkündet. 2023 gab es 378.000 Neugeborene, das waren 3,4 Prozent weniger als 2022, und auch dieses Jahr bleiben die Zahlen im Minus.
Premierministerin Giorgia Meloni und ihre Rechts-Mitte-Koalitionspartner haben deshalb Familienpolitik längst zu den wichtigsten politischen Aufgaben ernannt. Nur geht es Meloni weniger um Familie generell, sondern um ein bestimmtes Familienmodell, das es zu unterstützen gilt: das verheiratete, heterosexuelle Paar mit Nachwuchs.
Faschismus-Vergleich: Neue Steuern
Ein Beispiel: Angesichts der kargen Finanzressourcen hatte man in der Regierung die Idee, im Haushaltsgesetz 2025 Singles höhere Steuern aufzubrummen. Diese wurde nach dem ersten Protestschwall zwar wieder verworfen. Die Familiensoziologin Chiara Saraceno vergleicht im Gespräch mit dem KURIER das Vorhaben mit jenen Steuern, die im Faschismus unverheiratete Männer zwischen dem 25. und dem 66. Lebensjahr zahlen mussten. Das Geld ging an das Nationale Hilfswerk für Mutter und Kind.
In Sachen Familienpolitik wird gefördert, gefordert und verboten. Das letzte Verbot ist gerade eine Woche alt und betrifft die Leihmutterschaft.
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Protest in Mailand: Ein Grafitti zeigt Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (r.) und die Sekretärin der Demokratischen Partei (PD), Elly Schlein (l.), nackt und schwanger abgebildet sind, als Hinweis auf die Debatte über Leihmutterschaft im Land.
Diese ist in Italien seit 2004 verboten und sieht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zwei Jahren vor, plus eine Geldstrafe von 600.000 Euro bis eine Million Euro. Vorige Woche fügte das Parlament einen Paragrafen hinzu, in dem die Leihmutterschaft zum „Universaldelikt“ erklärt wurde. Das heißt, italienische Staatsbürger machen sich auch dann strafbar, wenn sie im Ausland darauf zurückgreifen.
„Natürlich kann man gegen die Praktik der Leihmutterschaft sein“, sagt Saraceno. „Dieser Regierung geht es aber nicht darum generell, sondern um die Durchsetzung ihrer Vision von Familie.“
Von der Feministin zur Hüterin der Tradition
Mit der Aufgabe, die Familienpolitik in diesem Sinne zu steuern, wurde die Ministerin Eugenia Roccella beauftragt. Saraceno zufolge hat Roccella in den 70er-Jahren zu Italiens radikalsten Feministinnen gezählt. So verglich Roccella damals einen Schwangerschaftsabbruch mit einem „Blutgerinnsel“. „Doch wie so oft werden die Geläuterten zu den strengsten Hütern der bis dato bekämpften Werte und Positionen“, betont Saraceno.
Auch schon am Schwangerschaftsabbruch wurde herumgewerkelt. So stehen Frauen, die sich dazu entschieden haben, unter immer stärkerem psychologischen Druck. Vor allem seitens der Pro-Vita-Organisationen, die sie vor und nach dem obligatorischen Beratungsgespräch abpassen und bedrängen, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken.
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Demo vor dem Gesundheitsministerium in Rom für das Recht auf freie, sichere und kostenlose Abtreibung, 28. September 2024.
„Freilich ist es gut, dass Familienpolitik jetzt im Zentrum steht. Was mir nicht gefällt ist – wie schon gesagt – der ideologische Ansatz“, fährt Saraceno fort. Sie erzählt von einem Meinungsaustausch mit einer Abgeordneten aus dem Rechts-Mitte-Lager. Die Politikerin beklagte den Egoismus und den Individualismus, der dazu führe, keine Kinder mehr zu wollen. Das sei früher nicht so gewesen. Saraceno kritisiert auch die Wortwahl von Papst Franzikus. Dieser nannte Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführten, unlängst „Sicari“, …read more
Source:: Kurier.at – Politik