Nach Jahren der Misswirtschaft schwenkte Argentinien vor einem Jahr auf den extremen Sparkurs Javier Mileis um. Einblicke in einen Staat, der die Kontrolle über seine Wirtschaft verloren hat.
Die Stille des Geldautomaten verschluckt alle anderen Geräusche. Sie erfüllt das Foyer der Galicia-Bankfiliale, fünf, vielleicht zehn Sekunden lang. Dann: Enttäuschung. Die Maschine spielt ihr altes Lied: „Dieser Betrag ist nicht verfügbar.“
Nächster Versuch, diesmal mit deutlich verringerter Summe. Dann, endlich, beginnt der Automat zu rattern und spuckt einen gewaltigen Batzen gelber Scheine aus. Es sind umgerechnet knapp 70 Euro. Die Bank verrechnet dafür eine Transaktionsgebühr von 16 Euro.
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Ein typisches Bild in einer argentinischen Bank: Für ganz alltägliche Einkäufe braucht es mehrere Tausend-Pesos-Scheine.
Wer zur Zeit in Argentinien Geld abheben möchte, muss sich an einer Art gesellschaftlichem Glücksspiel beteiligen. Hat dieser Bankomat genug Geld oder nicht? Akzeptiert er meine Karte? Wie hoch ist die Abhebegebühr, wie sieht der Wechselkurs aus? Dank der absurden wirtschaftlichen Situation gibt es auf keine dieser Fragen eine klare Antwort.
Eine Stadt im finanziellen Überlebensmodus
Die Hyperinflation hält Argentinien im Würgegriff, in diesem Jahr lag sie im Schnitt über 200 Prozent. Der Peso verliert ständig an Wert, das Ersparte der meisten Argentinier hat sich damit in Luft aufgelöst.
Man sieht es ihnen an: Viele Menschen sehen müde aus, verkaufen in der U-Bahn einfache Waren wie Taschentücher oder Müllsäcke und scharen sich um die Imbissläden mit den billigsten Angeboten. Buenos Aires, vor hundert Jahren noch eine der reichsten Metropolen der Welt, ist heute eine Stadt im finanziellen Überlebensmodus.
Als Schuldige an der Krise gelten die linkspopulistischen Peronisten (benannt nach Parteigründer und Ex-Präsident Juan Perón), die Argentiniens Politik seit Jahrzehnten prägen und regelmäßig die Regierung stellten, zuletzt vier Jahre lang unter Ex-Präsident Alberto Fernández.
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Die Führungsriege der Peronisten in Argentinien: Die ehemalige Präsidentin (2007-2015) und Vizepräsidentin (2019-2023) Cristina Fernández de Kirchner sowie Ex-Präsident Alberto Fernández (2019-2023)
Unter ihm nahm der stark verschuldete Staat während der Pandemie übermäßig viel Geld in die Hand, um dem Volk auszuhelfen. Gleichzeitig ließ er die Notenbank ständig neue Pesos drucken, um die Staatsschulden zurückzahlen zu können – und befeuerte damit die Inflation.
Ein Jahr Milei: „Wirtschaftspolitisches Experiment am lebenden Patienten“
Seit dem 10. Dezember 2023 ist der selbsternannte „Anarcho-Kapitalist“ Javier Milei an der Macht; ein glühender Verfechter der freien Marktwirtschaft, von dem das Zitat überliefert ist, er würde Staaten generell „verabscheuen“. Milei setzt auf einen radikalen Sparkurs: Unter anderem entließ er tausende Beamte, kürzte Pensionen und Sozialleistungen wie Energiekostenzuschüsse für Haushalte.
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Argentiniens Präsident Javier Milei fährt seit einem Jahr einen radikalen Sparkurs. Er entließ tausende Beamte, kürzte Sozialleistungen und leitete die Privatisierung der staatlichen Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas ein.
Aus Volkswirtschaftlicher Sicht wirken diese Schockmaßnahmen bereits. Zunächst trieben sie die Inflation noch weiter in die Höhe, doch seit April sinkt sie langsam, aber beständig. Im Oktober lag sie im Vergleich zum Vorjahresmonat erstmals unter 200 Prozent (193 %). Gleichzeitig ist im ersten Jahr unter Milei die Armutsrate gestiegen: Von 40 auf 53 Prozent.
Europäische Diplomaten bezeichneten das, was in Argentinien vorgeht, im Gespräch mit dem KURIER als “wirtschaftspolitisches Experiment am lebenden Patienten“. Die 180-Grad-Wende von den Peronisten …read more
Source:: Kurier.at – Politik