Deutschland will künftig auf Videoüberwachung mit Künstlicher Intelligenz (KI) setzen, um heimische Kriminalität einzudämmen. Doch die flächendeckende Gesichtserkennung wirft Fragen auf.
Von Franziska Trautmann
Keine Frau fühlt sich mittlerweile mehr wohl, Unterführungen wie den Jägertunnel nahe des Marburger Bahnhofs in Hessen zu betreten. Vergewaltigung oder Raub machten den Tunnel zum „Angstraum“, das Sicherheitsgefühl gerät ins Bröckeln. Deutschland hat sich deshalb einen neuen Ansatz im Kampf gegen inländische Kriminalität überlegt: Videoüberwachung mit Gesichtserkennung von „besonders gefährdeten Orten“.
Dafür ist ein System basierend auf Künstlicher Intelligenz (KI) vorgesehen. Auffälliges Verhalten, verdächtige Personen und sogar Straftaten sollen somit schneller erkannt werden.
Hessen nimmt als erstes deutsches Bundesland den Antrag in sein Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf. Die dritte Lesung findet heute statt – man rechnet mit mehrheitlicher Zustimmung. Trotzdem wirft diese neue Art von Videoüberwachung einige Fragen auf, und die größte von allen: ist es EU-konform?
Identifizieren mit biometrischen Daten
Hinter dem Gesetz stehen die Fraktionen CDU und SPD. Sie setzen auf automatisierte Gesichtserkennung in Menschenmengen, insbesondere an deutschen Bahnhöfen, um Straftäter noch schneller aus dem Verkehr ziehen zu können. „Wir sorgen durch Gesichtserkennung mittels KI für sichere Bahnhöfe“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann dem Handelsblatt.
Dazu soll eine Identifizierung von Personen über biometrische Daten behilflich sein. Wenn sich jemand auffällig verhält oder eine Waffe sichtbar bei sich trägt, zum Beispiel ein Messer oder einen Baseballschläger, schlägt das KI-gesteuerte System Alarm. Polizeibeamte dürfen dann die Gesichtserkennung starten. Der Verdächtige wird mit der polizeilichen Datenbank verglichen, wenn er bereits vermerkt ist, wird er „grafisch gekennzeichnet“ – also markiert und weiterverfolgt.
Die Fraktion der Grünen lehnen die Pläne ab. Konstantin von Notz, Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion, äußerte sich dem Handelsblatt: „Mehr Sicherheit für Deutschland erreicht man mit einem solchen Law-Order-Populismus ganz gewiss nicht.“
Zugriff auf alle öffentlichen Bilder?
Die sogenannte „Echtzeitfernidentifizierung“ soll bei, von der Polizei definierten, „Angsträumen“ verwendet werden. Darunter fällt gleich eine ganze Liste an Orten. Öffentliche Räume wie Bahnhöfe und Flughäfen, aber auch „Religionsstätte“ darunter Moscheen oder Synagogen müssen laut Gesetzesantrag kontrolliert werden. Bei „großen öffentlichen Veranstaltungen“ bleibt noch Raum zur Spekulation – müsste man sich dann auch bei Konzerten oder sogar im Kino überwachen lassen?
Mittlerweile wird auch angedacht die Datenbank an Personen zu erweitern: das System gleicht nicht nur mit dem Bestand der Polizei ab, sondern dürfte sogar auf alle öffentlich einsehbaren Fotos im Internet zugreifen, geht es nach SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Damit könnten die KI-Kameras künftig alle Gesichter erfassen, egal ob Straftäter oder nicht. Ob das noch in den Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fällt, bleibt fraglich.
Erst im Juni ist der europäische „AI-Act“, ein Gesetz über Künstliche Intelligenz und den sicheren und transparenten Einsatz der Technologie, in Kraft getreten. Darin sei die biometrische Gesichtserkennung als „hochriskant“ eingestuft worden und bis auf wenige Ausnahmen prinzipiell verboten. Biometrische Daten seien nur in bestimmten strafrechtlichen Fällen erlaubt, darunter die Suche nach Terroristen und Vermissten, aber nicht flächendeckend im öffentlichen Raum.
Unterschiedliche Definitionen von Straftaten
Daniela Birnbauer, österreichische Rechtsanwältin mit Fokus auf KI-Regulierung in der Kanzlei Schönherr, äußert sich zur rechtliche Situation kritisch: „Die Mitgliedsstaaten können eine gesetzliche Ermächtigung zum Einsatz biometrischer Fernidentifizierungssysteme vorsehen, sofern sie die in der KI-Verordnung …read more
Source:: Kurier.at – Politik