Der FDP-Chef hat die Regierung gesprengt, wohl aus Kalkül. Dabei würden gerade einmal drei Prozent der Deutschen ihn und seine Partei wählen. Worauf spekuliert er?
Es gibt eigentlich kein Porträt von Christian Lindner, das ohne folgenden Satz auskommt: „Probleme sind nur dornige Chancen.“
Als er das sagt, braun gebrannt und die blonden Haare nach hinten gegelt, ist Lindner erst 18 Jahre alt. Schon damals ist er FDP-Mitglied („seit ich 14 bin, ist die FDP meine politische Heimat“), es wird noch 24 Jahre dauern, bis er Finanzminister wird. Aber dieser Lindner, der sich für einen TV-Beitrag über junge Unternehmer extra einen Mercedes geliehen hat, in dem er mit Laptop am Schoß PR-Konzepte schreibt, der dort behauptet, im Jahr darauf 50.000 D-Mark verdient haben zu wollen, der erzählt viel über jenen Christian Lindner, der gerade die deutsche Regierung zerlegt hat.
Der Hasardeur
Vergangenen Mittwoch, es ist Abend, Europa verdaut gerade den Wahlsieg Donald Trumps. Im Berliner Kanzleramt hat man aber anderes zu tun, als über den Schatten des neuen, alten Präsidenten zu sinnieren. Die deutsche Koalition beschäftigt sich lieber mit sich selbst, besser gesagt: Sie beerdigt sich gerade.
Die Frage, wer der Totengräber war, wird Deutschland wohl den Wahlkampf über beschäftigen. Hat es Olaf Scholz, der seinem Finanzminister verbittert vorwarf, sein „Vertrauen zu oft gebrochen“ und „kleinkariert taktiert“ zu haben, wirklich auf einen Bruch angelegt? Oder war doch Christian Lindner, der danach in die Kameras sagte, der matte Olaf Scholz habe „nicht die Kraft für einen neuen Aufbruch“, der Sprengmeister?
Vielleicht hat Lindner damit unabsichtlich die Antwort darauf gegeben, wer hier wen verlassen hat. Einer, der keine Kraft für einen Aufbruch hat, kündigt keine Koalition auf – vor allem dann nicht, wenn seine Partei null Chancen hat, wieder ins Kanzleramt einzuziehen. Das macht hingegen einer, der solche Volten schon öfter hingelegt hat, und der selbst in seiner eigenen Partei als Zocker und Hasardeur gilt. Christian Lindner eben.
Freilich, auch Lindner hätte laut Umfragen derzeit nicht einmal genügend Wähler, um wieder in den Bundestag einzuziehen. Das macht die ganze Sache ja auch so irritierend, zumindest auf den ersten Blick. Die FDP dümpelt bei miserablen drei Prozent, fünf bräucht sie, um nicht aus dem Parlament zu fliegen. Lindners Kalkül ist aber ein anderes: Er hofft, dass das Ampel-Aus ihm seine Kernwähler zurückbringt.
Lindner war schon immer einer, der gern gezockt hat. Das hat seine Kleinpartei, der gern vorgeworfen wird, ausschließlich Klientelpolitik für Industriellenwitwen und Hoteliersvereinigung zu machen, immer ins Zentrum des politischen Geschehens katapultiert. Die FDP war stets Königsmacherin – und auch oft Königsmörderin.
Die One-Man-Show
Lindner liebt beide Rollen. Er übernahm die FDP 2013, als sie nach dem Rauswurf aus dem Bundestag am Boden lag. Vier Jahre später stieg die Partei wie der Phoenix aus der Asche: Mehr als zehn Prozent holte Lindner 2017, das war sein Meisterstück und das macht ihn auch heute noch parteiintern völlig unantastbar.
Geschafft hat er das als One-Man-Show. Sich selbst ließ er die Glatze wegtransplantieren und die Dioptrien weglasern, der staubigen Genscher-Partei verpasste er eine Start-up-Optik mit unfreiwillig komischen englischen Slogans („Digital first, Bedenken second“). Dass die Medien …read more
Source:: Kurier.at – Politik