Jimmy Carter ist tot: Der Zauderer mit Weitsicht

Politik

Mit 100 Jahren ist der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter gestorben. Im Amt war er wenig erfolgreich. Sein Ansehen war zuletzt über die Parteigrenzen hinweg herausragend

Es sind rare Momente in Amerika, wenn ein Politiker, ganz gleich, ob Demokrat oder Republikaner, inflationär als „gute Seele“, „sehr feiner Mensch“, „Ausbund an Mitmenschlichkeit“ und „Vorbild für uns alle“ beschrieben wird.

Welle der Anteilnahme

Für solche Vokabeln ist im vergifteten nationalen Selbstgespräch, in dem Andersdenkenden reflexartig böseste Absichten unterstellt werden, normalerweise kein Platz. Bei Jimmy Carter macht das Land gerade eine Ausnahme. Als 2023 bekannt wurde, dass sich der 39. Präsident nach vielen Krankheiten, Operationen und Spital-Aufenthalten aus den Händen der Groß-Medizin, die den Krebs nicht besiegen konnte, in seinem bescheidenen Zuhause in palliative Hospiz-Hilfe begeben hat, rollte eine Welle der Anteilnahme ins idyllische Plains im Bundesstaat Georgia, wo Carter am 1. Oktober 1924 geboren wurde.

Mit ehrlicher Anteilnahme für Carter und seine seit 77 Jahren mit ihm verheiratet gewesene Gattin Rosalynn (96) zollte das Land parteiübergreifend Respekt einem Mann, der in seinem Leben oft unterschätzt wurde. Jetzt ist Jimmy Carter im Alter von 100 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben.

APA/AFP/-Wie kam Amerika überhaupt zu Jimmy Carter? 

Nach dem Albtraum von Vietnam und Richard Nixons Machtwahn im Watergate-Skandal sucht die traumatisierte Nation nach Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Bodenständigkeit an der Spitze.

Und nach Integrität. Kaum jemand verkörperte diese Qualitäten 1977 authentischer als der abseits des Washingtoner Klüngels groß gewordene Provinzpolitiker, der es in Georgia mit Charme und Fleiß zum Gouverneur brachte. Carter, Unterseebootfahrer und Nuklear-Ingenieur mit Abschluss an der renommierten Militär-Akademie in Annapolis/Maryland, bezwang den Republikaner Gerald Ford.

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Aber schon kurz danach ging es mit Jimmy Carters Präsidentschaft bergab. 

Zu zaudernd, zu pedantisch, zu ehrpusselig und am Ende auch zu glücklos agierte der in eigenen Reihen oft als Hinterwäldler belächelte Demokrat, der seine erste Fernseh-Ansprache an die Nation in einer Strickjacke hielt.

Dass er 1979 auf dem Höhepunkt der Wirtschafts-Malaise mit hohen Öl-Preisen und galoppierender Inflation etwas sehr Unamerikanisches tat und seinem auf Überfluss trainierten Volk Verzicht predigte, ist unvergessen: „In einer Nation, die stolz war auf harte Arbeit, starke Familien, eng zusammenhaltende Gemeinschaften und den Glauben an Gott“, sagte Carter, „neigen nun zu viele von uns dazu, Genusssucht und Konsum anzubeten.“

Mehr Sätze braucht der Mann mit dem ewigen Zahnpasta-Lächeln nicht zum politischen Selbstmord. Aber er tat es aus tiefster Überzeugung.

„Sein wichtigster Charakterzug war, dass er selbst hartnäckige Probleme unabhängig von der Frage anging, welchen politischen Preis er dafür zahlen musste“, sagte später sein enger Berater Stuart Eizenstadt.

Zu den innenpolitischen Pleiten kamen außenpolitische Nadelstiche.

Sie zementierten das Bild des Versagers. Die Sowjetunion marschierte in Afghanistan ein. Und der Iran nahm die US-Botschaft in Teheran in Geiselhaft. Eine Befreiungsaktion misslang kläglich. Erst unter Nachfolger Ronald Reagan wurde die Krise gelöst. Nach 444 Tagen der Demütigung. Entschieden zu lange, um Carters Pluspunkte jedenfalls damals ausreichend zu würdigen.

Er war es, der die Beziehungen zu China normalisierte und nie amerikanische Soldaten in einen Krieg schickte, mit der Sowjetunion aber einen großen Abrüstungsvertrag unterzeichnete. Er war es, der 1978 auf dem US-Präsidentenlandsitz Camp David den historischen Friedensschluss zwischen Israel (Menachem Begin) …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

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