Konsensprinzip: „Er sagt, sie sagt – das Grundproblem bleibt“

Politik

Niemand muss ein Formular ausfüllen, bevor er Sex hat. Auch eine App dürfte nicht notwendig sein. 

Eine „konkludente Zustimmung“ sollte reichen. Klingt schon wieder kompliziert, bedeutet im Grunde aber nur, dass jemand mit Worten, aktiver Beteiligung oder körpersprachlich zu erkennen gibt, dass er bzw. sie das will, was gerade passiert.

So würden zwei Praktiker – Petra Poschalko, Richterin am Wiener Straflandesgericht, und Präsident Friedrich Forsthuber – das sogenannte „Konsensprinzip“, das Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) im Sexualstrafrecht einführen will, interpretieren.

Forsthuber muss im Gespräch mit dem KURIER aber „die Erwartungen bremsen“: Er glaubt nicht, dass die geplante Verschärfung zu so viel mehr Verurteilungen führen würde oder (auch eine Sorge, die kursiert) reihenweise unschuldige Männer angezeigt würden. Er betont aber: „Eine Sensibilisierung, mehr auf die Zustimmung des Partners zu achten, schadet sicher nicht.“

Aussage gegen Aussage

Schon 2015, vor der Einführung des Tatbestands der „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“, wurde diskutiert, ob man diese Selbstbestimmung nun so definiert, dass jemand „Ja“ sagen muss, oder ob es reicht, wenn er bzw. sie nicht „Nein“ sagt. Die damals rot-schwarze Regierung entschied sich für den zweiten Weg: Strafbar macht man sich, wenn man „gegen den Willen“ einer Person den Beischlaf vornimmt. Das will Sporrer jetzt ändern.

Eine Beweislastumkehr bedeute das nicht, betonen Sporrer und auch die beiden Experten: Es verschiebe sich nur der Fokus: Derzeit muss das Opfer erklären, ob es ausreichend „Nein“ signalisiert hat, künftig soll der Täter erklären, warum er von einem „Ja“ ausgegangen ist.

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Das Grundproblem, dass häufig Aussage gegen Aussage steht – „er sagt, sie sagt“ – bleibt. Wie geht man als Richterin vor? Poschalko fragt zum Beispiel, ob das Opfer eine Abwehrhaltung eingenommen habe; ob es sich weggedreht oder die Arme verschränkt, ob es geweint habe – all das sollten recht klare Signale sein.

Dass ein Opfer „erstarrt“, nicht in der Lage ist, sich verständlich zu machen, und ein Täter deshalb freigesprochen werden musste – das sei ihr noch nicht untergekommen, sagt Poschalko. Das Phänomen des „Freezing“ will die Justizministerin mit ihrer Gesetzesänderung ja erfassen.

In den meisten Fällen würden Beschuldigte freigesprochen, weil es eine große Grauzone gebe, sagt sie – gerade dann, wenn zwei Menschen intim werden, die einander noch nicht gut kennen. Stichwort Onlinedating. Vor Gericht zählt, ob ein Vorsatz vorlag. Die Frage lautet also: Was konnte der Täter wissen, was musste er merken? Viele junge Männer seien verunsichert, sagt die Richterin, und erinnert sich an einen Fall, in dem einer mit dem Handy mitgefilmt habe, um beweisen zu können, dass der Sex einvernehmlich war.

Bei der Beweiswürdigung vor Gericht spiele auch das Verhalten der Partner danach eine Rolle, ergänzt Forsthuber: Wurden noch glühende Liebes-SMS geschrieben, gab es weitere Treffen?

Anzeige vs. Verurteilung

2016, ein Jahr nach der Einführung, gab es 148 Anzeigen wegen „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“, 2020 waren es 235, 2024 schon 510. Das zeigt: Der neue Straftatbestand ist im Bewusstsein der Menschen bzw. Opfer angekommen. Beweisbar war am Ende aber nur ein kleiner Teil: Bei 123 Anklagen gab es 42 Verurteilungen (siehe Grafik).

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Source:: Kurier.at – Politik

      

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