Müssen wir uns in Europa vor Aufrüstung und Krieg fürchten?

Politik

Bringen uns mehr Waffen tatsächlich den Krieg, wie manche warnen? Der Politologe Herfried Münkler sagt: So simpel ist das alles nicht.

Dieses Interview ist der dritte Teil der KURIER-Serie “Angst vor der Zukunft?”, in der wir Expertinnen und Experten mit den brennendsten politischen Fragen für das neue Jahr konfrontieren. Alle bisherigen Serien-Teile finden Sie hier.

KURIER: Seit Putins Invasion wird der Ruf nach Aufrüstung immer lauter. Den einen macht das Angst, denn mehr Waffen würden nur zu mehr Krieg führen würden. Die anderen haben Angst, dass zu wenig Abschreckung eine Einladung zu Angriffen sei. Welche Seite hat recht? 

Herfried Münkler: Das eine ist Angst, das andere Furcht. Angst ist ein diffuses Empfinden. Wer Angst vor Selbstbehauptung hat – nicht nur gegen reale Angriffe aus Russland, sondern auch vor Drohungen aus dem Kreml –, signalisiert die Bereitschaft zum In-die Knie-Gehen. So übernimmt man nur den Willen des anderen und beugt sich ihm.

Furcht hingegen zeigt, dass man sich rüsten muss, Dinge ändern muss, die einen erpressbar machen – wirtschaftliche Verflechtung oder Abhängigkeit von Energieträgern etwa. Die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit – oder das Land wieder „kriegstüchtig zu machen“, wie unser Verteidigungsminister Pistorius sagte – ist ein Bearbeiten von Furcht. Man trifft Vorbereitungen gegen das, was man fürchtet.

Ist die Angst vor Aufrüstung nur ein Produkt der Populisten von links und rechts?   

Die Vorstellung, dass Rüstung zu einer eskalatorischen Spirale führt, gab es schon immer. Im Kalten Krieg wollte man das mit Abkommen abschwächen, denn durch solche Spiralen droht nicht nur militärische Zerstörung, sondern auch der Ruin der eigenen Ökonomie infolge des Rüstungswettlaufs. Die Sowjetunion war ja am Schluss nicht mehr in der Lage, dem Tempo zu folgen, das sie selbst zunächst vorgegeben hatte. 

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Helmut Schmidt hat die UdSSR darum „Obervolta mit Atomraketen“ genannt. Ist ein solches Szenario auch für Russland denkbar? Eine hochgerüstete Atommacht, wirtschaftlich am Ende? 

Laut Putin fließen 6,4 Prozent des BIP ins Militär, tatsächlich vermutlich mehr. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange Russland das durchhält. Putins Problem ist, dass er den Krieg als Sieger beenden muss, beweisen muss, dass sich all das gelohnt hat. Wenn die Ukraine besetzt, aber verwüstet ist, die NATO aus einem „Hirntotenverein“ zu einem handlungsfähigen Akteur wird und Russland die Anstrengungen der letzten Jahre auf Dauer stemmen muss, dann kann das Land auch relativ schnell kollabieren. Wie rasant eine Armee zerfallen kann, haben wir ja gerade in Syrien gesehen.

KURIER/Jeff Mangione

Politologe Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaften in Berlin und einer der profundesten Kenner globaler Zusammenhänge. Zuletzt ist sein Buch „Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert“ bei Rohwolt erschienen.

China rüstet seit Langem auf, Russland ebenso. Hat Europa falsch gedacht, indem man meinte, Großmächte lassen sich durch Wirtschaftskraft bändigen? 

Es war zunächst naheliegend, so zu denken. Militärausgaben sind verlorene Ausgaben, wenn man davon ausgeht, dass das Militär nur abschrecken soll, nicht erobern. Die Formel „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“ ist darum rational: So wird weniger Geld für etwas ausgegeben, wovon man gar nicht will, dass man es brauchen muss. Das funktioniert nur unter einer Voraussetzung: dass alle so …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

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