
„Wenn du weinst“, sagte ein Bursch unlängst bei einem Workshop zu Jim Cumpson, „bist du kein Mann.“ Der Brite schüttelte den Kopf, blickte dem Teenager in die Augen. „Echte Männer“, sagte er dann, „weinen sehr wohl. Weil Weinen echt ist.“ Der 57-Jährige wusste, dass dieses Gespräch alleine noch nichts verändern würde. Und ihm ist auch klar, dass der Junge mit seiner Einstellung nicht der Einzige ist.
„Die heutigen Burschen, sind ein wenig verloren“, meint der Lehrer und Gründer des Vereins „Boys in Mind“ im KURIER-Gespräch. „Sie wollen Männer sein – aber sie wissen nicht, was das bedeutet.“
Mit Workshops, Vorträgen und Videos von Burschen an Burschen arbeitet der Brite daran, festgefahrene Rollenbilder aufzubrechen und eine neue Form der Verletzlichkeit zu etablieren.
Dieser Tätigkeit geht er seit Jahren nach, Doch in den vergangenen Wochen stand sein Telefon kaum still.
Bauer Anna-Maria
Jim Cumpson rief den Verein „Boys in Mind“ ins Leben
Netflix-Serien wie White Lotus oder The Crown haben wiederholt für Gesprächsstoff gesorgt. Doch kaum eine Serie hat so starke Reaktionen ausgelöst wie Adolescence. Mit 66 Millionen Zusehern ist es der meistgesehene britische Titel auf Netflix aller Zeiten.
Eine Familienwelt im Wanken
Wer die Serie noch nicht kennt: Adolescence erzählt die Geschichte einer Familie, deren Welt ins Wanken gerät, als der 13-jährige Jamie Miller (Owen Cooper) wegen des Mordes an einem Mädchen aus seiner Schule verhaftet wird. Abgesehen von der eindrucksvollen Darbietung der Schauspieler – insbesondere des 15-jährigen Owen Cooper – und der besonderen Machart (jede der vier Episoden wurden in einem einzigen Take gedreht), hat der Film gesellschaftlich heikle Themen aufgegriffen: Misogynie, toxische Männlichkeitsideale und – besonders in Großbritannien brisant – Messerkriminalität unter Jugendlichen.
Für Jim Cumpson zeigt die Serie auch auf, wie leicht Burschen heute manipulierbar sind: „Da ist ein Typ im Netz, der ihnen erklärt, wie man als Mann zu sein hat – und sie glauben ihm. Weil sie selbst keine klaren Vorstellungen haben.“
Für den Jugendcoach liegt der Schlüssel zur Veränderung in der psychischen Gesundheit. „Natürlich gibt es viele Faktoren, warum jemand gewalttätig wird, aber wenn es dir gut geht und du dich selbst magst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du Gewalt ausübst, viel geringer.“
Starmer lud Serienmacher in die Downing Street
Auch die Politik reagiert. Die Macher der Serie wurden zu einem Gipfeltreffen in die Downing Street geladen, um zu besprechen, wie verhindert werden kann, dass junge Männer in einen „Strudel aus Hass und Frauenfeindlichkeit“ geraten.
via REUTERS/Jack Taylor
Keir Starmer lud zum Adolescence-Gipfel in die Downing Street
„Es scheint, als ob die das ganze Land über Adolescence spricht – und nicht nur dieses“, sagte Premierminister Keir Starmer nach dem Treffen. Als Vater (seine Tochter ist 14, sein Sohn 16 Jahre alt, Anm.) sei es ihm nicht leicht gefallen, den Film mit seinen Kindern anzuschauen: „Weil er sich mit den Ängsten und Sorgen verbindet, die man als Eltern und Erwachsene hat.“ Aber genau deshalb sei er notwendig.
Bei dem Treffen sprach Starmer auch seine Unterstützung für eine Kampagne aus, die Schüler in Sheffield ins Leben gerufen hatten: Die Serie soll künftig an Schulen gezeigt werden. „Ich habe drei Brüder und bin viel aus …read more
Source:: Kurier.at – Politik