Sollte sich die EU wirtschaftlich wehren? „Das ist ein Systemkrieg“

Politik
Tobias Gehrke, Geoökonom European Council on Foreign Relations (ECFR)

Anfang Oktober setzte China Europa unter Schock: Peking kündigte Exportbeschränkungen für alle Produkte an, die magnetische Metalle enthalten, die mit chinesischer Technologie aus seltenen Erden verarbeitet wurden. Das Problem: Rund 93 Prozent dieser Rohstoffe werden in China veredelt, im Ernstfall hätte der Großteil der europäischen Industrie lahmgelegt werden können. 

Die EU verfügt mit dem „Anti-Coercion-Instrument“ (ACI) zwar über ein rechtliches Werkzeug, um sich gegen solchen wirtschaftlichen Druck zu wehren – eingesetzt hat sie es bislang nicht. China verschob die Maßnahme erst nach einem Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Chinas Machthaber Xi Jinping um ein Jahr. 

In dieser Phase veröffentlichte der Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) ein viel beachtetes Strategiepapier: Darin listete der Geoökonom Tobias Gehrke mit einer Kollegin Schlüsseltechnologien auf, in denen EU-Firmen noch führend sind. Im KURIER-Gespräch erklärt Gehrke, wie die EU diese Firmen nutzen könnte, um sich zu wehren.

KURIER: Sie plädieren in Ihrem Paper dafür, dass die EU ihr Anti-Coercion Instrument (ACI) einsetzen soll, um auf Chinas Exportbeschränkungen für Seltene Erden zu reagieren. Sehen Sie diese denn klar als chinesischen Erpressungsversuch?

Tobias Gehrke: Ja, weil diese Exportbeschränkungen ein Paradebeispiel von Coercion sind, also wirtschaftlichem Zwang. Die Chinesen sagen, sie wollen damit nur verhindern, dass ihre Seltenen Erden für militärische Zwecke genutzt werden, aber das stimmt natürlich nicht. Es ist ein politisches Instrument, das man als Gegenschlag für die Amerikaner gestaltet hat – und wir Europäer sind der Kollateralschaden. 

Chinesische Offizielle haben sogar angedeutet, dass Europa ausgenommen werden könnte, wenn wir noch einmal über unsere Zölle auf chinesische Waren nachdenken. Sie haben also das Thema Seltene Erden mit anderen Themen vermischt. Das ist wirtschaftlicher Zwang wie aus dem Bilderbuch. Warum also hat die EU das ACI überhaupt entworfen, wenn sie es in so einem Fall nicht einsetzt? Andere Staaten sehen ja, dass Europa sich nicht wehrt. Das schadet uns bei zukünftigen Verhandlungen.

  Streit um Europas Kampfjet-Projekt spitzt sich zu

Privat

Der Deutsche Tobias Gehrke ist Geoökonom im Berliner Büro des Brüsseler Thinktanks European Council on Foreign Relations.

Solche Exportbeschränkungen für ausländische Produkte, die mithilfe von Technologien aus dem eigenen Land hergestellt werden, haben die USA schon vor 70 Jahren ausgesprochen. Ist das denn kein wirtschaftlicher Zwang?

Doch, auch das ist Coercion, aber in kleinerem Stil. Ein berühmtes Beispiel ist die niederländische Firma ASML, die 2022 unter extraterritoriale US-Sanktionen gestellt wurde und seither ihre modernsten Lithographiemaschinen für die Produktion von Halbleiterchips nicht mehr nach China liefern darf. 

Aus europäischer Sicht ist solche Extraterritorialität illegal. Aber was die Chinesen mit ihren Seltenen Erden machen wollten, ist eine andere Liga: Sie hätten die komplette europäische Wirtschaft unter Extraterritorialität gestellt – wissend, dass unsere gesamte Industrie von diesen Technologien abhängig ist. Das ist das schärfste Schwert, das China hat. Und das wissen sie auch.

Nun rätselt ganz Europa, wie man sich dagegen am besten wehren kann. Sie empfehlen, selbst Druck auszuüben und Exportbeschränkungen in jenen Schlüsseltechnologien anzudenken, bei denen europäische Firmen noch führend sind …

Es geht doch darum, wie China und auch die aktuelle US-Regierung denken: Sie denken, wahrscheinlich sogar zu Recht, dass Europa politisch schwach ist und sie im Grunde alles von uns verlangen können, …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

(Visited 4 times, 1 visits today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.