Während Europa sich zunehmend abschottet, will Spanien in den nächsten drei Jahren knapp eine Million irregulär im Land lebende Migranten legalisieren – aus wirtschaftlichen Gründen.
José Luis García del Castro zögert keine Sekunde mit der Antwort. Migration? „Für Spaniens Landwirtschaft sind die Einwanderer ein Segen!“ Der Jungunternehmer betreibt in der Region Extremadura eine Farm für regenerative Viehhaltung. Seit einem Jahr beschäftigt er auf ihr einen jungen Mann aus Mali und einen Senegalesen, mit unbefristeten Vollzeitverträgen.
Sie treiben die Rinder zu ihren Weideplätzen, versetzen in regelmäßigen Abständen den mobilen Hühnerstall, damit das Federvieh auf immer neuen Grünflächen picken und scharren kann. „Unter jungen Spaniern interessiert sich niemand mehr für die Landwirtschaft“, sagt García del Castro. „Aber die Motivation dieser beiden jungen Männer ist enorm.“
Beide Männer kamen vor Jahren irregulär als Bootsflüchtlinge ins Land. Eine Stiftung half beim Beschaffen von Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis.
Einzigartiges Ausländerrecht
Juristisch möglich macht den Wandel vom irregulären Migranten zum Arbeitnehmer der sogenannte „arraigo“, die „Verwurzelung“. Die juristische Figur ist Kernbestandteil des spanischen Ausländerrechts und europaweit einzigartig:
EPA/ADRIEL PERDOMO
Bootsflüchtlinge, die Anfang Dezember an einer spanischen Küste ankamen
Wer irregulär in Spanien lebt, sich strafrechtlich nichts zuschulden kommen lässt, familiäre und soziale Verbindungen oder einen Arbeitsvertrag nachweisen kann, erhält nach Ablauf einer bestimmten Frist alle notwendigen Papiere.
Diese Regelung will die spanische Linkskoalition nun ausweiten. Dazu hat sie Durchführungsbestimmungen des Gesetzes geändert. Statt wie bisher drei Jahre Wartezeit sind demnach nur noch zwei notwendig. Als Beschäftigungsnachweis gilt künftig auch eine selbstständige Tätigkeit.
In den nächsten drei Jahren werde so der Arbeitsmarkt für 900.000 Migrantinnen und Migranten geöffnet. „In einem Europa, das sich zunehmend abschottet, setzen wir weiter auf Inklusion und Integration – über einen vereinfachten Zugang zum Arbeitsmarkt“, sagt Pilar Cancela, Staatssekretärin für Migration.
Dabei geht es auch um wirtschaftliche Überlegungen. Ob der Kellner aus Venezuela oder die Pflegerin aus Bolivien: Arbeitskräfte aus dem Ausland werden in vielen Branchen dringend gebraucht. Laut einer Studie der spanischen Bank wird der Bedarf in Zukunft steigen – trotz der vergleichsweise hohen Arbeitslosenquote von elf Prozent: Um das spanische Sozialsystem nicht zu gefährden, brauche das Land bis 2053 zehn Millionen Zuwanderer mehr.
Die Wirtschaftsdaten sprechen dafür. Denn Spanien, das in den letzten zwei Jahren eine Million Menschen aufgenommen hat, boomt. Um 3,4 Prozent ist die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahrsquartal gestiegen, mehr als in irgendeinem anderen europäischen Land. Neben der billigen Energie – Strom kostet im Vergleich zum restlichen Europa im Schnitt zwanzig Prozent weniger – und dem anhaltenden Tourismus-Boom sehen Experten einen Grund dafür in der Einwanderung.
Vom Transitland zur Zieldestination
Die Migration sei für die Hälfte des Wachstums verantwortlich, sagt Raymond Torres vom Thinktank Funcas: „Sie kurbeln als Verbraucher den Konsum an und sind gleichzeitig wichtige Produktivkräfte.“ Die guten ökonomischen Aussichten wiederum lockten weitere Menschen an. „Spanien hat sich in den letzten Jahren von einem reinen Transitland zu einer Zieldestination entwickelt“, so Staatssekretärin Cancela.
Dass es ohne Zuwanderung nicht geht, ist sogar der rechtsextremen Vox-Partei klar. Sie polemisiert gegen minderjährige Migranten aus Afrika, nimmt aber irreguläre Migranten aus Venezuela, Kolumbien, Bolivien von der Kritik meist aus: Mit diesen Ländern teile Spanien schließlich Sprache, …read more
Source:: Kurier.at – Politik