In einer Zeit, in der Europa eine starke Führungsfigur bräuchte, befindet sich Frankreichs Präsident innenpolitisch in einer fragilen Position. Kommt er dafür noch in Frage?
Emmanuel Macron, das muss man ihm lassen, hat ein Gespür für starke Thesen, die hängenbleiben, selbst wenn sie gar nicht von ihm stammen. Die jüngste brachte er beim EU-Gipfel in Budapest an, unmittelbar nach der Wahl von Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten. Wie andere Redner ließ auch der französische Staatschef durchscheinen, dass für die Europäer raue Zeiten anstehen. „Die Welt ist gemacht aus Pflanzenfressern und aus Fleischfressern“, sinnierte er auf der Bühne, gewohnt temperamentvoll. „Wenn wir uns dazu entschließen, Pflanzenfresser zu bleiben, werden die Fleischfresser gewinnen.“ Deshalb wäre es „nicht schlecht, Allesfresser zu sein“.
Die Metapher aus der Tierwelt hat der frühere französische Außenminister Hubert Védrine bereits mehrmals benutzt, ursprünglich geht sie auf Sigmar Gabriel zurück. „In einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier sehr schwer“, warnte der damalige deutsche Außenminister 2018. Mit dem Bild von Nationen als Raub- und Beutetieren versuchte Macron einen kämpferischen Appell an die europäischen Partner.
Vom Hoffnungsträger zum einsamen Wolf?
Schon während der EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs im ersten Halbjahr 2022, in die Russlands Vollinvasion in die Ukraine fiel, machte er aus dem Begriff der „strategischen Autonomie“ ein oft wiederholtes Schlagwort. Die EU müsse ihre eigene Verteidigung ausbauen, für die eigene Sicherheit verantwortlich sein und dürfte sich in Handelsfragen nicht zwischen den USA und China zerreiben lassen. Noch immer wählt er starke Worte, aber ist der 46-Jährige noch ein starker Präsident? Kann er, der 2017 mit seiner programmatischen Europa-Rede in der Sorbonne ein ambitioniertes Bild von einer eng verbundenen EU entwarf, noch eine europäische Führungsrolle einnehmen? Die Frage stellt sich umso dringlicher angesichts des Regierung-Aus und der anstehenden Neuwahl in Deutschland, die kurzzeitig ein Machtvakuum in der europäischen Gemeinschaft schaffen.
Doch auch der französische Staatschef ist in einer fragilen Lage. „Es ist völlig offensichtlich, dass sich jede Schwächung auf der nationalen politischen Bühne in einer Schwächung auf der internationalen resultiert“, sagt der Politikwissenschaftler und Spezialist für internationale Beziehungen Bertrand Badie.
APA/AFP/ODD ANDERSEN
Archivfoto von 28. Mai 2024: Emmanuel Macron, dahinter der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius und Bundeskanzler Olaf Scholz.
Startete Macron 2017 als junger Hoffnungsträger mit einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung, so war diese seit der Wahl 2022 nur noch relativ. Zum allgemeinen Erstaunen löste Macron im Sommer, am Abend der EU-Wahlen nach dem enttäuschenden Ergebnis seiner Partei Renaissance, die Nationalversammlung auf und rief Neuwahlen aus. Der Überraschungscoup konnte eine neuerliche Schlappe nicht verhindern. Renaissance mitsamt Bündnispartnern stellen seitdem nur noch den zweiten von drei großen politischen Blöcken in der französischen Nationalversammlung, hinter dem links-grünen Zusammenschluss „Neue Volksfront“ und vor dem rechtsextremen Rassemblement National (RN), der größten einzelnen Oppositionspartei mit 125 Abgeordneten.
Die Republikaner verfügen lediglich über 47 Sitze, dennoch stammt der Premierminister, der frühere EU-Kommissar Michel Barnier, aus ihren Reihen. Er galt als einer der wenigen, der nicht sofort durch einen Misstrauensantrag gestürzt würde; so hatte es RN-Fraktionschefin Marine Le Pen versprochen. Doch wie lange wird seine Mitte-rechts-Regierung halten?
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Source:: Kurier.at – Politik