Die Vranitzky-Doktrin sei nicht mehr zeitgemäß. Denn die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat seien heute andere, so der ehemalige Bundeskanzler.
Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) wünscht sich ein Zustandekommen der Dreier-Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS.
Zwar gelte es insbesondere in der abgewählten Kanzlerpartei „innere Widerstände zu überwinden, wie wir aus Industriekreisen wissen“, sagte Vranitzky im APA-Interview. „Aber im Interesse des gesamten politischen Systems und unseres Staates hoffe ich doch, dass sie die gemeinsame Regierung zuwege bringen.“
„Ich horche den Parteien zu“
Vranitzky wollte sich nicht auf die Erfolgschancen für die Koalitionsverhandler festlegen. „Ich horche den Parteien zu, und sie sagen, sie wollen. Sie sagen auch, sie können“, konstatierte der frühere Bundeskanzler und SPÖ-Chef. Er stand von 1986 bis 1997 an der Spitze einer Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ. Nach dem Verlust der gemeinsamen Zwei-Drittel-Mehrheit bei der Wahl 1994 war erstmals darüber spekuliert worden, ob mit dem Liberalen Forum ein dritter Partner in die Regierung aufgenommen werden könnte.
„Vranitzky-Doktrin“ nicht mehr zutreffend
Vranitzky hatte nach dem Obmann-Wechsel bei der FPÖ im Jahr 1986 die damalige rot-blaue Koalition beendet und fortan eine Zusammenarbeit mit dem damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider strikt ausgeschlossen.
Die sogenannte „Vranitzky-Doktrin“ sieht er heute aber nicht mehr als zutreffend an, weil die Mehrheitsverhältnisse heute andere seien als im Jahr 1986. Die SPÖ habe damals nämlich mit der ÖVP sogar die Verfassungsmehrheit gehabt. „Man war ja nicht so gezwungen, an Koalitionen zu basteln, um die 50 Prozent zusammenzubringen“, sagte er.
Auf die Frage, ob er nun für eine Zusammenarbeit der SPÖ mit der FPÖ sei, sagte er: „Ich persönlich habe das nicht zu entscheiden, aber ich würde in jedem Fall vorsichtig sein, (…) selbst wenn die Ausgangslage von 1986 nicht zutrifft.“ Der Schlüssel liege nämlich darin, „die politische Arbeit so voranzutreiben, dass man solche Koalitionen nicht braucht, um Mehrheiten zu bekommen“.
Digitale Revolution und Migration
Seiner Partei empfahl Vranitzky, „sich den neuen Herausforderungen zu stellen“ wie etwa der digitalen Revolution mit dem Aufkommen der Künstlichen Intelligenz und ihren Auswirkungen auf die Arbeitswelt, aber auch der menschengemachten Klimaveränderung.
„Das alles stellt uns ja vor die Aufgabe, die soziale Frage im Lichte dieser Entwicklungen, um nicht zu sagen Bedrohungen in den Mittelpunkt unseres politischen Denkens und Handels zu stellen“, sagte er. Auch beim Thema Migration müsse man zwischen verschiedenen Herausforderungen wie Arbeitskräftemangel, Überalterung der Bevölkerung, Bildung und Ausbildung „einen überzeugenden Weg finden, dass die eigene Bevölkerung diesen Weg mitgehen kann“. Die SPÖ berufe sich diesbezüglich immer auf das Doskozil-Kaiser-Papier, „aber diesbezüglich wird es sicher noch des Feinschliffs bedürfen“.
Source:: Kurier.at – Politik