
In Serbien und Nordmazedonien gehen Bürger nach Todesfällen gegen Bestechlichkeit auf die Straßen. Eine Expertin beobachtet Verschlechterungen, was das ohnehin große Korruptionsproblem in der Region angeht.
„Smells like Corruption Spirit“, steht in großen und teils blutroten Buchstaben auf einem der zahlreichen Plakate, die Demonstranten in Serbien nun seit über vier Monaten hochhalten.
Die Massenproteste nach dem tödlichen Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad fordern nicht nur Aufklärung und Gerechtigkeit für die 15 Opfer. Sie setzen sich auch für funktionierende Institutionen ein; für Gerichte, die tatsächlich und unabhängig ihre Arbeit machen; für die Verfolgung von Straftaten – ganz egal, wer sie verübt.
APA/AFP/ANDREJ ISAKOVIC
Eine Demonstrantin in Belgrad im Jänner
Auch der 20-jährige Student Boris aus Belgrad, der regelmäßig demonstriert, sagt dem KURIER: „Unsere Bewegung war von Anfang an eine Anti-Korruptions-Bewegung, weil die Wurzel des Vorfalls in Novi Sad nun mal Korruption ist.“
Darauf weisen Untersuchungen hin, wonach die Kosten der Novi Sader Bahnhofsrenovierung, die wohl schuld am Einsturz ist, sich aus unerfindlichen Gründen verfünffacht hat. Undurchsichtig ist zudem, warum die für das Projekt ausgewählten Firmen, darunter zwei chinesische, die Aufträge überhaupt erhalten haben.
Bestechlichkeit ziehe sich aber durch alle Bereiche der serbischen Politik und Gesellschaft, hat Boris den Eindruck. „Wenn du hier krank bist und nicht jahrelang auf einen OP-Termin warten willst, bringst du dem Arzt ein Geschenk vorbei. Oder gleich ein Kuvert mit Geldscheinen.“ Bei wichtigen Dokumenten von der Stadtverwaltung laufe es ähnlich.
„Hochrisikosektoren“
Auch Südosteuropa-Korruptionsexpertin Lidija Prokić von der NGO Transparency International, die jährlich den vielbeachteten Korruptionswahrnehmungsindex CPI veröffentlicht, kann eine ganze Reihe von Beispielen aufzählen, die zeigen, wie präsent Korruption im serbischen Alltag ist. Staatliche Infrastruktur- und Energieprojekte seien „sicherlich ein Hochrisikosektor“. Beim Bau von Autobahnen und der Belgrader U-Bahn komme es etwa zu Ungereimtheiten.
Die internationale Weltausstellung Expo, die 2027 in Serbien stattfindet, stelle ebenfalls eine große Gefahr dar, so Prokić. Die Regierung unter Machthaber Aleksandar Vučić habe dafür große Bauvorhaben, darunter ein Nationalstadion. „Um das intransparent machen zu können, hat sie extra ein Gesetz geschaffen, mit dem sie gewisse Informationen zu den Projekten nicht offenlegen muss.“
Ähnliche Probleme gibt es auch im Rest der Region. In Albanien gingen deshalb vergangenes Jahr ebenfalls Tausende, vor allem Oppositionelle, auf die Straßen. Und in Nordmazedonien sorgte kürzlich eine Brandkatastrophe in einem Club, bei der 59 Menschen gestorben sind, für Bestürzung – die Lizenz der Diskothek war ungültig, wurde durch Bestechung erteilt. Auch in Kočani, wo das Unglück passiert ist, wird nun protestiert.
„Ermittlungen selten, Verurteilungen noch seltener“
Laut Prokić ist der gesamte Westbalkan von schwerer Korruption betroffen, wenn sie sich auch von Land zu Land in Ausmaß und Art unterscheide. „Überall weisen Informationen, meistens von der Zivilgesellschaft und Journalisten aufgedeckt, auf Korruption hin, teils von hochrangigen Beamten.“ Oft passiere aber nichts: „Ermittlungen sind sehr selten, Verurteilungen noch seltener.“ Die geringe Achtung der Rechtsstaatlichkeit – übrigens ein zentrales Thema, was den EU-Beitritt der Staaten angeht – sei besorgniserregend.
REUTERS/Florion Goga
Bei Anti-Korruptionsprotesten in Albanien warfen die Demonstranten sogar Molotowcocktails.
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Source:: Kurier.at – Politik