
Europa vor dem „zivilisatorischen Untergang“ – dem „Verlust der nationalen Identität“: Mit Schwarzmalerei in ihrer jüngsten Sicherheitsstrategie sorgten die USA in der EU für Empörung. Nicht so bei Zukunftsforscherin Florence Gaub. „Aus verteidigungspolitischer Perspektive müsse Europa nicht beunruhigt“ sein, meint die Expertin im Interview.
KURIER: Wie soll Europa auf die neue amerikanische Sicherheitsstrategie reagieren?
Florence Gaub: Das ist keine Strategie, sondern ein Dokument. Aus NATO-Perspektive gibt es nichts, was dieses Dokument für uns verändern würde: Man findet ätzende Statements, aber sonst? Es gibt keinen Truppenabzug aus Europa, wir haben nach wie vor amerikanische Soldaten, Offiziere in der NATO. Tatsächlich ist das eher ein Anti-EU-Dokument; und dass dieser Flügel der Republikaner die EU nicht mag, wissen wir schon lange.
Bald wird auch die neue Nationale Verteidigungsstrategie der USA folgen. Wird sie ähnlich Europa-kritisch lauten?
Bei dieser Sicherheitsstrategie geht es recht wenig um Sicherheit. Es ist noch nicht einmal eine Strategie. Eine Strategie beschreibt, was man wie erreichen will. Wenn man etwa liest, dass die USA Kräfte in Europa kultivieren möchten, die gegen Migration sind, dann ist das eine To-do-Liste, aber keine Strategie. Was also die Verteidigung betrifft, können wir erwarten, was die USA schon die ganze Zeit sagen: China, China, China und China.
Das bedeutet: Stärkung der Marine, Stärke von allen Bereichen, in denen China schon jetzt einen strategischen Vorteil hat. Also gerade bei Schiffen; China baut sehr viel mehr und schneller Schiffe als irgendjemand anders auf der Welt. Wenn es überhaupt mal zu einem Krieg mit den USA kommen sollte, wäre das auf hoher See und im Weltall und natürlich im Cyber-Bereich.
Warum schätzen die USA in ihrer Sicherheitsstrategie Russland plötzlich für so harmlos ein?
Im Gegensatz zu uns in Europa sieht die Trump-Regierung nicht Russland als das größte strategische Problem, sondern China. Die USA wollen Stabilität mit Russland herstellen, damit sie sich voll auf China konzentrieren können.
Sie hegen zum Teil auch die Hoffnung, dass die China und Russland voneinander trennen können. Die beiden haben eine strategische Partnerschaft, die immer enger wird.
Muss also Europa über die neue US-Sicherheitsstrategie nicht weiter beunruhigt sein?
Nicht aus verteidigungspolitischer Perspektive.
Was wäre das wahrscheinlichste Szenario für ein Ende des Krieges in der Ukraine?
Wir nähern uns der Endphase des Krieges – wobei Endphase nicht Frieden bedeutet, aber es heißt, dass die Kampfhandlungen irgendwann, im kommenden Jahr enden werden. Sie werden nicht komplett zum Erliegen kommen, aber es könnte eine Art kalter Frieden werden, eine Waffenstillstandslinie, über die man sich dann immer wieder beschießt. Viel hängt jetzt auch von den Verhandlungen ab. Russland möchte, dass das ukrainische Militär nicht aufgerüstet wird – natürlich, weil sie wissen, dass es so zu keinem nachhaltigen Frieden kommen wird.
Genau das will die Ukraine nicht, das wollen ja auch die Europäer nicht. Wenn dieser Art Frieden jetzt irgendwie durchgeht, können Sie davon ausgehen, dass wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren noch mal einen Krieg in der Ukraine zwischen Russland und der Ukraine haben werden. Es ist schwierig, das jenen Leuten klar zu machen, die sagen: Das Blutvergießen muss stoppen, die Kampfhandlungen müssen stoppen. Denn wenn der Krieg zu Ende ist, …read more
Source:: Kurier.at – Politik



