Die Welt werde verwundbarer, sagt Helmut Reisinger, CEO im internationalen Technologieunternehmen Palo Alto Networks.
Der Österreicher Helmut Reisinger ist als CEO für Europa, den Mittleren Osten, Afrika und Lateinamerika im Dienste des kalifornischen Technologieunternehmens Palo Alto Networks tätig.
KURIER: Wie viele Angriffe auf Staaten und Firmen finden international pro Tag statt?
Helmut Reisinger: Allein unser Unternehmen entdeckt pro Tag 2,3 Millionen neue Attacken. Vor einem Jahr waren es noch 1,6 Millionen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Die Angreifer müssen nur einmal richtig liegen und das Tor finden. Wir müssen permanent abwehren.
Wer sind die Angreifer?
Einerseits Nationalstaaten: Ihnen geht es um Spionage, Wissenstransfer und Disruption. Sie kommen großteils aus der östlichen Hemisphäre. So hat Russland schon vor der Invasion in der Ukraine deren Telekommunikationsnetzwerke und Energie-Infrastruktur im Cyberraum angegriffen. Oder es geht um Geld: Sogar manche Staaten nützen Ransomware als Einnahmequelle. Und dann sehen wir eine neue Gruppe, die „Hacktivists“: In Lateinamerika hat eine Gruppe aus Umwelt-Gründen einen Gas-Pipeline-Provider außer Gefecht gesetzt. Dank Künstlicher Intelligenz auf der Angreiferseite wird die Zeit zwischen Eindringen in eine Organisation und Abschöpfung von Daten viel kürzer. Vor zwei Jahren waren das ungefähr neun Tage, jetzt ist es meist nur ein Tag oder weniger.
Die Firma muss das Problem also blitzschnell lösen.
Ja, es braucht Cybersecurity in Echtzeit. Aber im Durchschnitt entdecken Unternehmen heute weltweit erst nach sechs bis sieben Tagen, dass sie ein Problem haben. Was viel zu spät ist. Nach amerikanischen Börseregeln muss man spätestens nach vier Tagen mitteilen, ob man einen ernsthaften Vorfall hat. Mit der neuen NIS2-Richtlinie der EU muss man bei Verdacht sogar schon innerhalb von einem Tag Meldung machen. Deswegen steigt der Blutdruck überall. Man muss auch angeben, wer im Unternehmen verantwortlich ist. Ich empfinde es als österreichisches Versagen, dass das noch nicht in ein lokales Gesetz gegossen worden ist.
Kann man also sagen, dass die Österreicher in der Pendeluhr schlafen?
Man könnte viel mehr tun. Cybersecurity ist ein Querschnittsthema und bei uns nicht eindeutig einem Ministerium zugeordnet. Niemand hat Durchgriff. Das könnte irgendwann einmal enden wie in Galtür. Erst nach diesem „Elektroschock“ hat man Vorkehrungen für Lawinenunglücke getroffen und Black Hawks angeschafft. Europa hat Nachholbedarf, um cybertüchtig zu werden. Je weiter weg von der Ukraine man ist, desto unaufmerksamer ist man in Westeuropa. Es braucht eine engmaschige Kooperation zwischen der öffentlichen Hand, systemkritischen Unternehmen und der Wirtschaft im Allgemeinen. Durch die fortschreitende Digitalisierung und KI-Nutzung wird die Welt vernetzter und damit verwundbarer.
Wahlmanipulation wird auch zunehmend Thema.
Ja, schauen Sie nach Rumänien. Da ist ein prorussischer, antisemitischer Kandidat aus dem Nichts aufgetaucht und im ersten Wahlgang Nummer eins der Präsidentschaftswahl geworden. Es deutet vieles darauf hin, dass er es mit Unterstützung Hunderter Tiktok-Accounts und gezielten Videosequenzen geschafft hat, einen Großteil der Rumänen zu erreichen. Offiziell hatte er gar keinen Apparat. Das ist ein riesiger Weckruf für Europa. Wir unterschätzen noch immer die Macht der sozialen Medien. Das Problem ist, dass es keine Regulierung für Tiktok gibt.
Tiktok ist chinesisch. Gibt es die Gefahr, dass chinesische Studenten in Wien Know-how – etwa in der Quantenphysik – ausspionieren?
Das zu beurteilen, maße ich mir …read more
Source:: Kurier.at – Wirtschaft