Strafanzeige und Disziplinarverfahren – warum ein Spitzenbeamter noch in seiner Pension verfolgt wird
Gerhard M. könnte seit Mai 2023 entspannt seine Pension als Spitzenbeamter genießen. Wäre da nicht eine Ladung als Beschuldigter vor der Disziplinarkommission, zugestellt drei Tage nach der Nationalratswahl. Der Verhandlungstermin ist für den 26. November angesetzt, zwei Tage nach der Landtagswahl in der Steiermark.
Was hat der am längsten dienende Abteilungsleiter, der fast 30 Jahre lang die IT-Abteilung managte, die größte Abteilung des Außenministeriums, am Kerbholz, dass er sich im vorgerückten Ruhestand noch einem Disziplinarverfahren stellen muss?
Gerhard M. hat sich erlaubt, gegen seine vorzeitige Abberufung vorzugehen. Das sollte ihm im von ÖVP-Minister Alexander Schallenberg geführten Ressort nicht gut bekommen.
Der Spitzenbeamte, der in der IT-Branche einen Top-Ruf genießt und als Erfinder des elektronischen Aktes gilt, wurde ein Jahr vor seinem Pensionsstichtag abberufen. Seine Vorgesetzten waren die ÖVP-nahe Sektionschefin und ehemalige Kabinettsmitarbeiterin von Ursula Plassnik und Maria Fekter, Siegried Berka. Sowie Gruppenleiter Michael Rendi, vormals Kabinettschef von Ex-SPÖ-Minister Thomas Drozda und Ehemann von Ex-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner.
Die beiden entscheiden sich für ihren Wunsch-Kandidaten (aus dem Finanzministerium) schon ein knappes Jahr, bevor der Job ausgeschrieben wurde. Das belegen Chats. Die Neos stellten eine parlamentarische Anfrage, der KURIER berichtete.
Doch Gerhard M. wollte sich nicht vorzeitig verabschieden, trotz einer Weisung und zwei Bescheiden. Er ging vor das Bundesverwaltungsgericht, das beide Bescheide aufhob.
Sein Abschiedsmail, das er drei Tage vor seiner Pensionierung an alle Kolleginnen und Kollegen, auch an die karenzierten, über einen Verteiler des Ministeriums ausschickte, wurde umgehend aus allen Postfächern gelöscht. Der Dienst-Account wurde gesperrt, auch die private Mailadresse blockiert. Laut dem Anwalt des IT-Chefs ein Straftatbestand (Verletzung des Briefgeheimnisses).
Das Ministerium zog alle Register und brachte eine Disziplinaranzeige ein, wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses. Der Beamte hatte seinem Abschiedsmail das Dokument „IKT-historisch“ beigelegt, das im Auftrag der Sektionsleitung für das Wissensmanagement erstellt wurde. Eine Leistungsaufstellung der IT-Abteilung seit den Anfängen 1985. Laut Anwalt enthalte das Dokument keine Informationen, die nicht schon vorher im Intranet veröffentlicht wurden.
Strafverfahren eingestellt
Offenbar um den Druck zu erhöhen, schickte das Ministerium eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien nach. Nach der Einvernahme des inzwischen längst pensionierten Beamten durch das BKA im Sommer wurde das Verfahren eingestellt. „Im Zweifel, das nehmen wir zur Kenntnis“, erklärt dazu eine Ministeriumssprecherin gegenüber dem KURIER.
Wenn also die Justiz keinen Grund für ein Verfahren sieht, warum wird dann das Disziplinarverfahren nicht auch eingestellt?
Das Disziplinarverfahren sei davon „unabhängig zu betrachten und wird durch die unabhängige Bundesdisziplinarbehörde geführt“. Diese ist im BMKOES (Ministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport unter dem grünen Noch-Vizekanzler Werner Kogler) angesiedelt, das Außenministerium habe „selbstverständlich keinen Einfluss auf Verlauf und Ausgang“. Im Dreier-Senat sitzen freilich zwei Vertreter des Außenministeriums.
Gerhard M. war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Beamte sind auf Lebenszeit mit der öffentlichen Verwaltung betraut und Disziplinar-Maßnahmen erstrecken sich auch in den Ruhestand. Die Frage möglicher Konsequenzen wurde nicht beantwortet.
Rendi leitet seit dem Sommer als Geschäftsträger vorübergehend die Botschaft in Tokio, bis Berka, die als Botschafterin bestellt ist, übernimmt.
andrea.hodoschek@kurier.at
Source:: Kurier.at – Wirtschaft