In einem Musterverfahren steht der Bilanzprüfer EY im Mittelpunkt. Insgesamt fordern 27.500 geschädigte Aktionäre 8,5 Milliarden Schadenersatz
Viereinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch des deutschen Zahlungsdienstleisters Wirecard und zwei Jahre nach Beginn des Strafprozesses gegen Ex-Wirecard-Boss Markus Braun & Co. geht die Aufarbeitung des mutmaßlichen Milliardenbetrugs in eine neue Runde. Stellvertretend für 27.500 geschädigte Wirecard-Aktionäre wird vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht die Musterklage eines Anlegers verhandelt, der einen Kursverlust in Höhe von einer halben Millionen Euro zu verbuchen hatte.
Im Mittelpunkt dieses Kapitalanleger-Musterverfahrens steht der Anspruch auf Schadenersatz für die entstandenen Verluste.
Haftungsadressaten
Im Hintergrund stünden Aktionärsforderungen von bis zu 8,5 Milliarden Euro, sagte die Vorsitzende-Richterin Andrea Schmidt. Das Musterverfahren soll die rechtliche Aufarbeitung der Schadenersatzforderungen vereinfachen und beschleunigen.
An erster Stelle von insgesamt elf Beklagten steht der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun, auf dem zweiten Platz die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Bei Braun wird nichts mehr zu holen sein, weil sein früherer Reichtum großteils aus Wirecard-Aktien bestand.
Der Österreicher, der rund viereinhalb Jahre in Untersuchungshaft sitzt, weist seit Anbeginn die Vorwürfe zurück, am 1,9 Milliarden schweren Wirecard-Betrug beteiligt gewesen zu sein. Die geschädigten Aktionäre hoffen deshalb, beim Wirtschaftsprüfer EY ordentlich Geld holen zu können. EY hat ein Jahrzehnt lang die mutmaßlich gefakten Bilanzen der Wirecard AG als in Ordnung testiert. Die Bilanzprüfer bestreiten vehement, etwas von den Malversationen mitbekommen zu haben.
Testate als Kapitalmarktinformation?
Laut Handelsblatt will EY nicht nur nach bestem Wissen und Gewissen die Bilanzen geprüft haben. Die Wirtschaftsprüfer bestreiten, dass ein Testat eine öffentliche Kapitalmarktinformation nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ist. Diese Kernfrage muss jetzt das Oberste Landesgericht klären.
„Der Wirtschaftsprüfer dokumentiert sein Prüfungsurteil im Bestätigungsvermerk, dem sogenannten Testat. Fällt das Prüfungsurteil positiv aus, erteilt der Wirtschaftsprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk“, so die deutsche Wirtschaftsprüferkammer. „Der Bestätigungsvermerk wird in der Regel zusammen mit der Bilanz, der Gewinn-und-Verlust-Rechnung, dem Anhang und dem Lagebericht veröffentlicht, während der Prüfungsbericht vertraulich und nur der Geschäftsführung, dem Aufsichtsrat und den Gesellschaftern der Unternehmen zugänglich ist.“
Werden die Testate als Kapitalmarktinformation im Prozess zugelassen, dann wird die Prüfung der Wirecard-Bilanzen durch EY in den Mittelpunkt des Verfahrens rücken.
Sorgfaltspflichten
Laut Handelsblatt hat die staatliche Prüferaufsichtsstelle bereits festgestellt, dass die EY-Bilanzprüfer ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben. In weiterer Folge muss dann das Gericht klären, ob die Prüfer fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben. Im letzterem Fall droht EY theoretisch sogar eine Haftung im Milliardenbereich. Beobachter gehen aber davon aus, dass der Prozess mehrere Jahre dauern wird. Indes hat der Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé EY auf 1,5 Milliarden Euro verklagt.
Source:: Kurier.at – Wirtschaft