
Man kann ihn gerade noch so hören, den Nachhall, wenn es einen Moment lang ganz ruhig ist. „Nie wieder“, schallt es dann ganz leise. Diese zwei Worte hatten mal viele Rufzeichen, sie definierten Österreich, Deutschland, das Nachkriegseuropa. Man wuchs auf mit Empörung und Verzweiflung darüber, was Menschen Menschen angetan haben.
Längst hat es angefangen, dass einer nach dem anderen da nicht mehr hinhört. Im progressiven Lager dekolonialisiert man sich wieder in den Antisemitismus hinein, die Kaperung des Anti-Antisemitismus durch die Konservativen und Rechtspopulisten ist plump und durchschaubar. Jeder findet, wenn er dann bereit ist, den passenden Extremismus.
Und die Gegenerzählungen? Sie verfangen sich in der Routiniertheit des Schreckens, wie Christopher Hamptons „Ein deutsches Leben“ in der Regie von Andrea Breth im Theater in der Josefstadt zeigt.
Natürlich geht es hier um den Kern der Sache, um die endlosen Ausreden und Schuldzurückweisungen des Tätervolks, auch wenn wirklich alles dagegen spricht. Brunhilde Pomsel (1911 – 2017) ist hier ein exemplarischer Extremfall: Sie arbeitete in Goebbels Propagandaministerium und will, das zeigte ein Dokumentarfilm, trotzdem, trotzdem nichts gewusst haben. Hampton hat daraus einen Theatermonolog gemacht, Maggie Smith spielte bei der Londoner Uraufführung 2019 Pomsel.
Bei der Wienpremiere nun gibt die große Regisseurin Breth ihr Josefstadt-Debüt. Vielleicht war es die aus dieser Besetzung erwachsene Erwartungshaltung, die den Abend letztlich so quer ins Gemüt stellte.
Stählerner Optimismus, schiefe Töne
Breth setzt der ungefiltert wiedergegebenen Lebenserzählung Pomsels zarte, teils fast subkutane Verfremdungseffekte gegenüber. Der Sessel, auf dem Lore Stefanek zwei Stunden lang vom Jungsein im Nazideutschland erzählte, vom offensiven Nichtwissen, von der jüdischen Freundin, deren Nach-und-Nach-Vernichtung dem Freundeskreis irgendwann zu anstrengend wurde, dreht sich unmerklich.
Der Chor singt, im Trenchcoat und im grauen Weimarer Anzug, stählern optimistische Schlager aus Nazideutschland, vom Frühling, der kommen wird, weil alles „besser, besser, besser“ wird, von der „tapferen kleinen Soldatenfrau“ – und setzte dabei gezielte Disharmoniesignale.
Theater in der Josefstadt/Bernd Uhlig
Lore Stefanek in „Ein deutsches Leben“ im Theater in der Josefstadt.
Als Pomsel das erste Mal von Hitler redet, verschwinden die Männer mit pikiertem Blick seitlich von der Bühne, als hätte sie einen Faux-pas begangen. Hin und wieder taucht im Hintergrund des Zimmers die Familie Goebbels auf, Andrea Clausen spielt die Nazi-Vorzeigeehefrau, am Schluss hängen die Kinder tot auf dem Führerbunkersessel.
Das Ganze bleibt aber ein Zwei-Stunden-Monolog (Stefaneks Textleistung ist enorm!) im Sitzen. Dass Pomsel trotz später Bedachtnahme darauf, was eigentlich aus der jüdischen Freundin geworden ist (im KZ ermordet), zur Erfassung des Schreckens und der Schuld – wie so viele – nachhaltig unfähig scheint, verengt den Abend: Die biografische Schreckensessenz ist verdünnt durch eine deutsche Jugend- und Aufstiegsgeschichte. Man weiß, dass sich hieraus das besondere Schwindelgefühl bezüglich der Banalität des Bösen auffächern sollte; es bleibt aber theoretisch.
Und eine zwar natürlich für sich sprechende, aber im Detail ermüdende Negation: Über Goebbels hat sie nichts zu sagen, sie saß ein paar Mal neben ihm, aber er sprach nicht mit ihr, sagt sie. Was für Akten sie bearbeitet hat, weiß sie nicht, nur, dass es nicht die wirklich argen waren. Ein Mal saß sie am Familientisch der Goebbels, aber Frau Goebbels war nicht …read more
Source:: Kurier.at – Kultur



