Angela Merkel: Diktat der Alternativlosigkeit

Kultur

Klaus-Rüdiger Mai hat eine so kenntnisreiche wie schonungslose Biografie der deutschen Langzeitkanzlerin und CDU-Chefin vorgelegt.

Wie Angela Merkel sich selbst sieht, kann man auf über 700 Seiten in ihren Memoiren unter dem Titel „Freiheit“ nachlesen. Eine andere, schon im Untertitel als „kritisch“ ausgewiesene Sicht bietet das zeitgleich (November 2024) erschienene, etwas schmälere Buch des Germanisten und Historikers Klaus-Rüdiger Mai über die deutsche Langzeitkanzlerin (2005–2021).

Vier Punkte sind es, an denen Mai seine Fundamentalkritik („Vier Sargnägel für Deutschland“) festmacht: Euro-Krise, Energiewende, Migration und die Spaltung der Gesellschaft im Zuge der Corona-Pandemie. Insbesondere nimmt der Autor die von Merkel für ihre Entscheidungen in all diesen Bereichen stets postulierte Alternativlosigkeit ins Visier („Göttin TINA – There Is No Alternative“).

Diese Behauptung sei, so Mai, einer von drei Wegen, welche Merkels Politik des Machterhalts charakterisierten. Dazu zählt er noch die „Sozialdemokratisierung und Vergrünung der CDU“ sowie die „Delegitimierung und mediale Diskreditierung alternativer (politischer; Anm.) Angebote“.

Ausführlich analysiert Mai das Verhalten Merkels in der Zeit der Wende, welches ihm exemplarisch für ihren Zugang zur Politik erscheint. Hier zeigt er, dass Merkel sich immer erst auf eine Seite schlägt, wenn sie sich sicher ist, wie eine Sache ausgeht. Nicht Überzeugungen leiten sie, sondern taktische Überlegungen. „Ich hab dem Braten noch nicht so ganz getraut“, zitiert er Merkel aus dem Oktober 1989 (!). Um später sarkastisch fortzusetzen: „noch immer traute Angela Merkel dem Braten nicht, auch nicht, als am 4. November die große Demonstration auf dem Alexanderplatz in Berlin stattfand, zu der sie nicht ging“. Immerhin, nach dem 9. November „begann sie [allmählich] dem Braten zu trauen“ …

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Werner und Angela

Wenn es von Werner Faymann einst spöttisch hieß, er komme mit keiner Meinung zu Merkel nach Berlin und mit ihrer wieder nach Hause, so kennzeichnet diese Haltung Mai zufolge auch Merkel selbst. Übrigens: Faymann kommt in dem Buch auch denkbar schlecht weg.

Gut kommt indes Merkels Vorgänger Gerhard Schröder weg. So heißt es etwa: „In der Wirtschaftspolitik lebte Merkel von Schröders Reformen. Doch hatte sie die nicht genutzt.“

Mais Resümee fällt, man kann es nicht anders bezeichnen, vernichtend aus: Er spricht von einer „Oligarchie der Alternativlosigkeit“, worin er die Wurzel des Bruchs zwischen „Eliten und dem Volk“ sieht: „Angela Merkel hinterlässt ein tief in sich verfeindetes Land.“

Man mag manches an dem Buch als polemisch empfinden, in Teilen ist es auch allzu detailverliebt für Nicht-Hardcore-deutsche-Innenpolitik-Interessierte – aber zweifellos legt der Autor am Beispiel Merkel den Finger in die Wunden gegenwärtiger deutscher wie auch europäischer Probleme. Zuversichtlich gestimmt legt man das Buch nicht weg.

Europa verlag

Klaus-Rüdiger Mai: „Angela Merkel“, Europaverlag, 414 Seiten, 26 Euro

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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