
Shakespeares „Der Sturm“ am Landestheater Niederösterreich als heutiges Konstellationenspiel über echte und gefühlte Macht und was die Künstliche Intelligenz daran ändert.
Sorry, es ist vom falschen Klassikerautor, aber es passt hier einfach zu gut: Die Geister, die er rief, wird auch Prospero nicht mehr los. Oder halt den Geist, Ariel.
Im Shakespeare’schen „Sturm“ am Landestheater Niederösterreich ist der Luftgeist, der auf der Zauberinsel die Machtspiele seines Herren organisieren muss, ein silbriges Kunstwesen. Und alles andere als unterwürfig, als steuerbar: In ihm brodelt, frech und spöttisch, das Aufbegehren gegen seinen Herrscher.
Schließlich ist der Zauber, den sich Prospero eingefangen hat, doch der Geist, den wir uns gerade alle herbeirufen, ohne zu wissen, wie wir ihn je wieder loswerden, nämlich eine Künstliche Intelligenz. Liest man das zuvor im Programmheft nach, eröffnet sich in der 100-Minuten-Inszenierung, die am Samstagabend Premiere hatte, ein schöner Nachdenkraum über Macht und ihre digitalen Abgründe im Heute.
Es geht ums Jetzt
Dort, das merkt man auch an den Hipsterfrisuren der Darsteller, ist die Inszenierung von Anne Mulleners nämlich hingemeint, ins Heute. Das kann man machen, das Shakespeare-Werk hält das locker aus, birgt doch unter dessen Stücken der „Sturm“, vielleicht mit dem „Sommernachtstraum“, die höchste Interpretationsnowendigkeit.
Hier nun also verschlägt es Hexensohn, König, den Prinzen und das andere eigentümliche Personal in ein digital abgewickeltes Sozialexperiment: Was heißt Macht eigentlich, was ist beherrschbar am Menschen, an der Natur und an der KI – diese angesichts der heutigen Informations- und kommenden Klimakriege doch nicht ganz unwichtige Frage exerziert Prospero (Michael Scherff) mit einem allsehenden Gottesauge auf seinem Umhang hier durch.
Auf der Bühne schaffen kreisrunde Rahmen eine Art abstrakte Tiefe.
Luiza Puiu
Insgesamt aber ist die Insel ein gedrängter Raum, in dem sich die Darsteller manchmal in einer etwas leerlaufenden Geschäftigkeit üben müssen. Es werden Äpfel gegrillt und aus einer praktischen Flachmann-Handtasche – die wäre ein gutes Merchandising! – wird Theaterwein getrunken, man verheddert sich in einem Netz aus Seilen und Prospero dreht, wenn es magisch wird, eine Glühbirne an.
Luiza PuiuDie Liebe
Ein Punkt, den der Abend machen will: Die Liebe bleibt unbeherrschbar, Miranda (Caroline Baas) und Ferdinand (ausdrucksstark: Tobias Artner) verlieben sich grund- und hilflos ineinander. Laura Laufenberg als mimikreicher, sarkastischer, energetischer, insgesamt toller Ariel stellt die Figuren in immer neuen Konstellationen zusammen: Herrscher und Beherrschter, Vater und Tochter, Bruderzwist, Untergebene, immer geht es um die Behauptung und die Realität von Macht.
Luiza Puiu
Wie sich da Hexensohn Caliban (gut: Julia Kreusch) einfügt, erschließt sich als einziges nicht ganz. Schon der gute alte Herr Shakespeare wusste natürlich, dass Macht zuvorderst eine Fiktion ist. Gerade dadurch ist sie etwas, das heute längst digital auf die ganze Welt durchschlagen kann: In einem Stück im Stück geht es dann um die machthabenden Ururenkel von Alonso, dem König von Neapel (Roberto Romeo), und Prosperos ruchlosem Bruder Antonio (Bettina Kerl). Dieser Ururenkel schlägt sich auf die Brust, hebt dann den rechten Arm nach oben gestreckt – im besten Fall nur ein „römischer Gruß“, auf jeden Fall das Zeichen, das jüngst Elon Musk uns allen gegeben hat.
Source:: Kurier.at – Kultur