
Eine Villenetage in Berlin-Grunewald. Demian ist aufgeregt. Soll er die Hermès-Krawatte oder die mit den kleinen Leoparden nehmen? Demian ist so was Ähnliches wie Kulturkritiker, aber er schreibt immer nur nette Sachen und sieht überdies auch noch ansprechend aus, weshalb er überall willkommen ist. An diesem Abend bei einer Literaturpreisverleihung an einen arabischen, in Norwegen lebenden Dichter. Dessen Lyrik enthält zwar eindeutigen Rassismus gegen Schwarze, aber was will man machen, der Mann ist eben „ein Genie“, Gegenargumente sind bloß „eurozentristisches Denken“.
Mit der Krawattenfrage hätte Demians Tochter Nicole, bis vor kurzem noch Sohn Killian, helfen können, aber die ist gerade nicht da, sie versucht, auf der Straße Männer aufzureißen und wird dann auf der Preisverleihungsparty auftauchen und dort mit dem Laudator, einem in der Schweiz lebenden arabischen Prinzen anbandeln. Der wiederum hält sie erst für eine Escortdame und dann für einen Stricher, ebenso wie der vertrottelte Polizist in Zivil, der der ganzen Gesellschaft hinterherspioniert, bevor diese in Richtung Burger King aufbricht. Samt Riesenpudel Mephistopheles, genannt Fisti, dessen Besitzerin, der reichen Erbin Livia, sowie Toto, einem amerikanischen Lebenskünstler, der irgendwann einmal in Berlin gestrandet ist.
Letzteres hat er mit der Autorin dieser Geschichte gemeinsam. Nell Zink („Der Mauerläufer“) ist Kalifornierin und lebt heute in der Nähe von Berlin. Mit „Sister Europe“ hat sie einen Berlinroman rund um eine für eine Nacht zusammengewürfelte Clique geschrieben. Man treibt durch die Stadt, macht zwischendurch bei einer Geheimparty in einem U-Bahnschacht Halt und weiß Bescheid – über die Welt en gros und en détail.
„Sister Europe“ schaut seinen Protagonisten genau aufs Maul und ist somit einer der lustigsten und zugleich schlauesten Romane der Saison. Hier kriegt jeder sein Fett ab: Der Kunst– und Literaturbetrieb, die Woken, die Anti-Woken, die Rassisten, die Toleranten – die dermaßen tolerant sind, dass man sich fragt, ob ihnen nicht vielleicht einfach alles egal ist. Die einen laborieren über der „Trans-Reise“ ihres Kindes, die anderen genießen bei einem von einer arabischen Öl-Dynastie gesponserten Dinner Austernsorbet und schwärmen vom „unbürokratischen Vergnügen, mit Goethe-Instituten in Diktaturen zu operieren“.
Cover
Nell Zink:
„Sister
Europe“
Ü.: Tobias
Schnettler.
Rowohlt.
268 Seiten.
25,95 Euro
Source:: Kurier.at – Kultur