
„Vergangenheit in der Gegenwart – das ist meine Aufgabe“: Das schrieb Modest Mussorgski im Jahr 1872. Und genau diese Worte prangen riesig am Eisernen Vorhang.
Offensichtlich inspirierten dieser Satz und natürlich die Handlung Simon McBurney, die heurige Opernproduktion der Salzburger Osterfestspiele im Großen Festspielhaus „Chowanschtschina“ in die Gegenwart zu holen, wobei er trotz verlockender, weltweiter Aktualität des Inhalts auf platte politische Anspielungen verzichtete.
Denn es geht in diesem Werk um Machtkämpfe und um ein Glaubensdrama in Moskau im Jahr 1682, wo die Welt völlig aus den Fugen geraten ist, um völlig undurchsichtige politische und religiöse Machtverhältnisse und grausame Kämpfe: Zwei Familien kämpfen um die Nachfolge auf dem russischen Zarenthron, sowie die Altkirche gegen die Reformkirche.
Osterfestspiele Salzburg/Tom Visser Design
Und mitten drin keimt noch eine Dreiecks-Liebesgeschichte zwischen dem Fürstensohn Andrej sowie Marfa und Emma auf.
All das hat der britische Regisseur mit seiner Bühnenbildnerin Rebecca Ringst in packende, bildmächtige Szenen gepackt: Kalte, graue verschiebbare Metallwände dominieren die Bühne.
Es herrscht Terror, Bewaffnete ziehen durch die Stadt, auf einer blutverschmierten Schräge liegen Leichen.
Und von Anfang stellt McBurney die Figur der Marfa, eine mysteriöse zwischen den Welten wandelnde Seherin, in den Mittelpunkt. Schon vor Beginn der Musik betritt sie aus dem Dunkel heraus, nur von einem Lichtspot beleuchtet, seitlich die Bühne. Und sie beherrscht auch das mit Licht und Rauch spektakulär inszenierte Schlussbild, bei dem ein Aschenregen auf sie und ihren Geliebten herunterregnet, bevor sie in den erlösenden Feuertod geht.
Salzburger Osterfestspiele/ Tom Visser DesignHerrliche Piani
Nadezhda Karyazina ist diese Marfa, und man erlebt sie als ungemein präsente, intensive, aber auch innige Frau mit herrlichen Piani und wunderbar tiefdunklen und warmen Mezzotönen.
Osterfestspiele Salzburg/Inés Bacher
Vitalij Kowaljow singt den Fürst Iwan Chowanskij, den Anführer der konservativen Strelitzen, sehr nobel, eindringlich und kraftvoll.
Osterfestspiele Salzburg/Inés Bacher
Der bühnenpräsente Ain Anger als Dosifej, Anführer der Altgläubigen, singt diesen stimmgewaltig, aber auch mit einem knorrigen Vibrato in der Tiefe.
Der Denunziant Daniel Okulitch fasziniert als wohltönender Schaklowityi, der Iwan Chowanskij selbst in der Badewanne ertränkt und sicherheitshalber auch noch erschießt.
Osterfestspiele Salzburg/Ines Bacher
Für den Sohn des Fürsten Andrej Chowanskij hat man sich mit Thomas Atkins eine ideale Besetzung geholt. Matthew White singt als Fürst Golizyn, der auf einer von oben herabschwebenden Kommandobrücke agiert, expressiv. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ist ein intensiver Schreiber.
Allison Cook (Susanna) und Natalia Tanasii (Emma) singen ebenso wie die weiteren kleinen Rollen tadellos.
Homogen und stimmgewaltig erlebt man den Bachchor Salzburg, den Slowakischen Philharmonischen Chor und den Festspiele Kinderchor.
Gespielt wird die Fassung von Schostakowitsch und auch der leise Schluss von Strawinski, vom Finnischen Radio-Symphonieorchester unter Esa-Pekka Salonen reich an Emotionen ohne allzu großem Pathos musiziert. Viele erdenkliche Farben erblühen und schillern, dabei wird auch ein dunkler Teppich ausgerollt.
Ergänzt wird die Musik fallweise durch dezente, elektronische Klangflächen wie Waldesrauschen und Vogelgezwitscher vom Bruder des Regisseurs Gerard McBurney. Stehende Ovationen für eine Produktion, die anschließend an der Metropolitan Oper gezeigt werden wird.
KURIER-Wertung: Vier Sterne
Source:: Kurier.at – Kultur