
Es könnte das herzzerreißende Ende einer Geschichte sein. Der sterbende Vater hat für seine letzten Tage ein Notizbuch und einen Kuli verlangt. Er, der 40 Jahre Journalist war, will einen letzten Artikel schreiben, bevor er stirbt. Aber als der Sohn nach dem Tod des Vaters das Heftchen öffnet, steht da „nichts, was einem Buchstaben ähnelt.“
Der portugiesische Theatermacher Tiago Rodrigues macht aus diesem Ende einen Anfang. Er erzählt in „No Yoghurt for the Dead“, das am Mittwoch im Akademietheater bei den Festwochen Premiere hatte, vom Sterben seines Vaters. Joghurt, das mochte der früher gar nicht, erzählt er einmal in seinem Krankenbett. Aber nun ist die Frage „Natur“ oder „Nicht-Natur“ die einzige freie Wahl, die ihm geblieben ist.
Entsetzliche blaue Tinte!
Zwei Schauspielerinnen bzw. Sängerinnen (Manuela Azevedo, Beatriz Brás) wechseln sich als Vater und Sohn ab, die dann „Langbart“ und „Kurzbart“ genannt werden und dementsprechend an der Länge ihrer Umhängegesichtsbehaarung erkannt werden.
Sie führen alltägliche Streitgespräche, die man nicht an einem Totenbett erwarten würde, so muss sich Langbart sehr darüber aufregen, dass Kurzbart nicht in der Lage ist, ihm einen schwarzschreibenden statt diesem unerträglichen blauen Kuli zu bringen – Herrgott, immerhin liegt er hier im Sterben. Dann wieder sind ihre Dialoge voller Poesie, etwa wenn sie darüber diskutieren, ob der Satz „Es gibt doch Lieder am Ende des Tages“ eine Frage oder eine Feststellung ist.
Viele Male sterben
Die Bühne besteht aus zwei Betten, eines davon (darin liegt der Musiker Hélder Gonçalves) steht auf einem Felsen. Letzteren besteigen Vater und Sohn einmal gemeinsam, wenn Langbart aufs Klo muss. Eine Erinnerung daran, wie unerreichbar die einfachsten Dinge werden, wenn der Körper schwach wird.
Langbart wird an diesem Abend mehrere Male sterben. Auch dieses Gefühl kennen alle, die Schwerkranke besuchen und immer damit rechnen müssen, dass es das letzte Mal gewesen ist.
Das Stück findet manchmal lyrische, manchmal kitschige Bilder dafür, wie das Ende des Weges aussehen kann. Bei Langbart spielen Fado-artige Lieder eine wichtige Rolle, der Besuch von lebenden und toten Gästen, und das menschliche Interesse, das die „schlechteste Krankenschwester der Welt“ Lisah Adeaga) für die vielen hat, die schon in seinem Bett gelegen sind.
Rodrigues (zuletzt mit „Catarina and the beauty of killing fascists“ 2021 bei den Festwochen) webt daraus eine berührende, humorvolle und tröstliche Geschichte, bei der das Theater vielleicht nicht den Tod besiegt, aber einen kleinen Triumph über den auslöschenden Akt des Sterbens erringt. Er schafft es, das Notizbuch doch zu füllen und am Ende ist die Kuli-Tintenfarbe herzlich egal.
Wh.: 29., 30., 31. Mai, 1. Juni
Source:: Kurier.at – Kultur