
Irgendwann fällt das Wort „Komplize“ – als sei es ein Selbstzitat. Denn tatsächlich hat „Das Ferienhaus“ von Simon Stone viel von „Komplizen“. Damals, 2021, erzählte der australische Theatermacher in der Burg von „Kindern der Sonne“, die in einem von Glasfronten dominierten Bungalow hoch über Wien, möglicherweise in der Himmelstraße, wohnen.
Auch jetzt steht ein solcher im Zentrum. Nicht in Grinzing, sondern an einem See nahe Salzburg. Carl Albrich hat ihn 1964 bauen lassen, dort verbringt die Großfamilie ihre Urlaube. So heißt denn auch der erste Teil des langen Netflix-Live-Abends „Paradies“. Aber wie es eben kommen muss, wartet nach dem Sündenfall das „Purgatorium“ (Fegefeuer), und dann folgt das „Inferno“. Zum Schluss, nach knapp vier Stunden, steht der Bungalow – Bühnenbildnerin Lizzie Clachan zitiert Ludwig Mies van der Rohe – in Flammen.
Marcella Ruiz Cruz
Doch so einfach macht es sich Simon Stone nicht. Für „Komplizen“ hatte er zwei Stücke von Maxim Gorki über das Auseinanderbrechen der Gesellschaft in Besitzende und Besitzlose kompiliert: Die Revolution war unausweichlich. Nun zog er fast alle Plots von Henrik Ibsen heran, um eine gar monströse Familiensaga zu konstruieren.
Aber im Gegensatz zu „Komplizen“ erzählt er sie nicht linear. Die Dramaturgie folgt eher dem Konzept von Quentin Tarantino für „Pulp Fiction“: Das Abfackeln des Bungalows passiert 2004, aber bereits eineinhalb Stunden davor, gleich nach der Pause, wird es nach einem nur erwähnten Brand wiederaufgebaut. Da schreibt man das Jahr 2015.
Dass die Geschichte nicht über die damaligen Ereignisse in Europa hinausgeht, hat einen Grund: Die Uraufführung unter dem Titel „Ibsen Huis“ fand 2017 in Amsterdam statt. Simon Stone verpflanzte sie jetzt nach Österreich. Und er achtet mit seinem Team (Kostüme von Mel Page und Emma White) enorm auf Zeit- wie Lokalkolorit. (Minifehler: Godard-Filme kann man 1969 nicht im erst 1981 eröffneten Stadtkino gesehen haben.)
Amüsante Bonmots
Stone bietet wieder großes Kino. Und zunächst sind all die ausgebreiteten Traumata mit amüsanten Bonmots garniert. Aber man muss ob der andauernden Zeitsprünge schon genau aufpassen. Zumal es für fast jede Figur eine jüngere und eine ältere Variante gibt. Was auch dazu führt, dass der Sohn von Carl (Thiemo Strutzenberger) im Geisterhaus auf sein jüngeres Ich (Tristan Witzel) trifft.
Doch die Geschichte des schwulen Sebastians (der Name verrät es: eine Märtyrer-Figur) ist ein eigener Kosmos. Er infiziert sich um 1986 mit HIV und bittet schließlich seine Mutter, ihn zu erlösen. Strutzenberger packt, herumirrend, ungemein bei seinem langen Monolog mit sanfter Resignation in der Stimme. Doch insgesamt wirkt diese en passant mitgenommene Tragödie wie ein Fremdkörper. Sie lenkt vom zentralen Thema der Lebenslüge und vor allem des Missbrauchs in der Familie ab. Zudem verliert man im Lauf des Abends manche Figuren aus den Augen: Sie verschwinden einfach im Sumpf.
So hat sich Stone um den fulminanten Erfolg gebracht (auch wenn es Standing Ovations gab). Ihm gelingen aber immer wieder hinreißende Stafettenübergaben über Jahrzehnte hinweg, und er lässt Szenen parallel spielen. Nach der Pause fallen gar zwei Zeitebenen in eins: Der Bungalow ist eingerüstet, erstarrt, die Handlung wechselt brutal zwischen 1964 und der Restaurierung 2015.
Natürlich muss man an „Das Fest“ von Thomas …read more
Source:: Kurier.at – Kultur



