Vier Frauen, viele Männer, zu viele Träume

Kultur

Am Beginn von Chimamanda Ngozi Adichies neuem Roman könnte mancher den Impuls verspüren, gleich aufzugeben. Da erklärt ihre Figur Chiamaka, dass sie die Pandemie und ihre Lockdowns dafür genützt hat, ihr Leben zu durchforsten. Nicht schon wieder eine selbstmitleidige Nabelschau aus einer Zeit, die man hinter sich lassen will! Aber Adichies „Dream Count“ ist nicht so ein Buch. Es spielt zwar in der Corona-Zeit, aber das ist nur die stichwortgebende Rahmenhandlung, die eine viel größere Erzählung einfasst.

Adichie – seit ihrem Roman „Americanah“ 2013 ein Literaturstar – erzählt in „Dream Count“ aus der Perspektive von vier afrikanischen Frauen: Chiamaka, genannt Chia, ist eine in Washington lebende Reiseschriftstellerin mit nigerianischen Wurzeln. Ebensolche hat auch Zikora, die in den USA als Anwältin arbeitet. Omelogor lebt in Nigeria, in Abuja, dort ist sie erfolgreiche Bankerin, die die Korruption in sinnvolle Kanäle zu leiten versucht. Kadiatou stammt aus Guinea, von dort ist sie mit ihrer Tochter in die USA geflohen.

Zukunftsuntüchtig

Erst lernt man Chia kennen, die mit ihren Texten über die Erfahrungen einer afrikanischen alleinreisenden Frau eine journalistische Marktnische auftut. Man erfährt von ihren gescheiterten Beziehungen mit teils so unmöglichen Männern wie dem Akademiker Darnell, dessen zwischenmenschliche Talente sich in Herablassung erschöpfen. Als Parallele zum Begriff „Body Count“, der die Menge der „erzielten“ Sexualkontakte angibt, sind die Träume, die Chia zählt, mit ihren zukunftsuntüchtigen Erfahrungen mit Männern verbunden. Das klingt erstmal nach einem enttäuschenden Fazit für den Roman einer feministischen Ikone. Doch das ist erst der Anfang. Auch Zikoras Träume werden von einem Mann zerstört. Sie, die ihr ganzes Streben auf eine „echte“ Familie ausgerichtet hat, steht als alleinerziehende Mutter da.

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Wahrer Kern

Aber in Kadiatous Schicksal potenziert sich alles: Sie hat Adichie nach Nafissatou Diallo modelliert – dem Zimmermädchen, das Dominique Strauss-Kahn in New York der Vergewaltigung beschuldigt hat, die Anklage wurde aber fallengelassen.

Dieser Abschnitt des Romans zeigt, welche Kraft Adichies Schreiben hat. Allein, wie sie die Qual beschreibt, die eine medizinische und polizeiliche Untersuchung nach so einem Übergriff darstellt, ist extrem packend.

Viele Träume sterben in diesem Roman, aber eine Hoffnung bleibt: Der Trost, den Frauen, die zueinander halten, geben. Auch wenn es so gar nichts bringt. 

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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