Wettbewerb in Venedig: Brutale Außenseiter

Kultur

Brady Corbets „The Brutalist“ und Todd Phillips‘ „Joker: Folie à Deux“ als höchst unterschiedliche Außenseiterporträts im Wettbewerb von Venedig

Vor fünf Jahren hatte Regisseur Todd Phillips mit seiner Superheldenverfilmung „Joker“ eine Sensation geliefert. Sein Psycho-Porträt eines Comedians, der nach einer Reihe von Demütigungen zur Waffe greift, wurde zum Kassenschlager. Der Blockbuster sah aus wie ein Fiebertraum von Martin Scorseses „Taxi Driver“ und brachte Joaquin Phoenix als Killerclown einen Oscar ein. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an „Joker: Folie à Deux“ (Kinostart: 3. Oktober): Würde Phillips seinen kontroversiell diskutierten Thriller weiter zuspitzen?

Die Antwort ist: Nein.

Todd Phillips schrumpfte den „Wahnsinn zu zweit“ auf eine bedrückende Mischung aus Gerichtssaaldrama und depressivem Musical in den Innenräumen eines Gefängnisses zusammen. Die Außenwelt fungiert lediglich als Kulisse einer wahnhaften Zweierbeziehung, die Joker in der Zelle mit seinem größten Fan Harley Quinn erlebt.

Deren Liebesgeschichte inszeniert Phillips als abseitiges Jukebox-Musical mit Oldies wie Sinatras „That’s Life!“ im Setting düsterer Außenseiterfantasien. Ein eindrucksvoller Joaquin Phoenix kehrt ausgemergelter denn je als Joker zurück und entdeckt an der Seite von Lady Gaga als Harley Quinn, deren Figur allerdings kaum Sogkraft entwickeln kann, den Gesang.

Gemeinsam steigert sich das schräge Paar singend und (stepp)tanzend in einen dystopischen Liebestaumel und verwandelt Jokers Gerichtsprozess in eine Bühne von Gewaltfantasien. Doch diesmal lässt Phillips keine Funken auf Jokers Publikum überspringen – weder auf die Fanmassen vor dem Gericht, noch auf das Kinopublikum. Sein „Joker: Folie à Deux“ implodiert einsam, als freudloser Abgesang auf einen gebrochenen „Superhelden“, der keinen Nachfolger sucht.

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Antisemitismus in USA

Mit Außenseitertum völlig anderer Art beschäftigt sich US-Regisseur Brady Corbet in seinem exquisiten Wettbewerbsbeitrag „The Brutalist“. Corbet („Vox Lux“) will mit seiner ausufernden Emigrationserzählung eindeutig Filmgeschichte schreiben: Mit dem großen Gestus eines Orson Welles entwirft er den Lebenslauf eines jüdischen Architekten namens László Tóth, der sich vor den Nazi in die USA retten kann und dort im Auftrag eines Mäzens mit dem Bau eines futuristischen Gebäudes beginnt.

Zwischen dem Architekten – oscarreif gespielt von Adrien Brody – und seinem Gönner (ebenbürtig: Guy Pearce) entwickelt sich eine fatale Dynamik, geprägt von Bewunderung und Herablassung. Corbet zeichnet den Mäzen als skrupellosen Investor, dessen Sehnsucht nach Kunst von der Gier nach Geld getrübt wird. Seine Haltung gegenüber Tóth wandelt sich von Gönnerhaftigkeit hin zu einer Verachtung, die nicht zuletzt seinem latenten Antisemitismus geschuldet ist.

Das Sittenbild, das Brady Corbet von der amerikanischen Nachkriegsmoderne zwischen Raubtierkapitalismus und Fremdenfeindlichkeit entwirft, ist eindeutig unfreundlich: „The Brutalist“ gilt als großer Favorit für den Goldenen Löwen.

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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