Wie das Essiggurkerl seinen Weg in die Literaturdebatte fand

Kultur

Johanna Sebauer war Favoritin am dritten und letzten Lesetag in Klagenfurt

Da war sie also, die KI. Angesichts der ungewöhnlichen Zeichensetzung eines Textes tauchte die Frage auf, ob denn ChatGPT einen Bachmann-Text schreiben dürfte. Ein Thema, das den Literaturbetrieb schon länger beschäftigt und in Klagenfurt nun relativ spät zur Sprache kam.

Auch neu an diesem letzten Lesetag: Einhellige Begeisterung in der Jury. Selbst dem diensthabenden Jury-Bad-Boy Philipp Tingler fiel nicht viel mehr als Lob für die Österreicherin Johanna Sebauer ein. Aber natürlich gingen auch die unterhaltsamen Show-Sticheleien weiter. „Ist das Schweizer Zeichensetzung?“, fragte Juryorsitzender Klaus Kastberger angesichts des kreativen Umgangs mit Beistrichen im Text des Schweizer Autors Semi Eschmamp. Juror Thomas Strässler, Schweizer, tat indigniert: „Das weckt den Patriotismus in mir. In der Schweiz ist die Zeichensetzung ähnlich wie in Österreich.“ Später rächte er sich beim Sebauer-Text, in dem Ausdrücke wie „Brunzdeppertesdrecksorschloch“ vorkamen. Er stellte die Frage in den Raum, was diese eindeutigen Austriazismen über eine Nation aussagten. Kastberger: „Und was sagt es über eine Nation aus, wenn ihre Fußball-Fans Käsehüte tragen?“

Abgesehen davon gab’s auch inhaltliche Debatten. Eschmamps Text „Ist Realität selbst da, wo sie nicht hingehört?“ wurde zwiespältig aufgenommen. Es handle sich um einen „klassischen Text fantastischer Literatur“ urteilte Strässle, der darin aber auch „einigen philosophischen Quatsch“ ortete. Und sprachliche Merkwürdigkeiten. „Kann man sich aufrichtig mit Sonnencreme einschmieren?“ Auch Mithu Sanyal war hin- und hergerissen. „Die Figuren haben keinen Bezug zur Welt.“ Philipp Tingler hatte Schwierigkeiten mit der Syntax und fand das Ende plakativ, lobte aber gelungene Bilder und die Sprünge ins „Surreale“. Klaus Kastberger sprach von der Rolle „sprachimmanenter Prozesse“ und hatte Probleme mit der Beistrichsetzung: „Ich hatte oft das Gefühl: Wer hat diesen Text geschrieben? Eine KI?“ Mara Delius fand diese Unterstellung „problematisch“. Brigitte Schwens-Harrant sah viel Reizvolles in dem Text, erlebte am Schluss aber eine Leseenttäuschung. „Eine Moral von der Geschicht’ steht am Schluss, darin liegt ein Problem.“

  Trotz Wetterextreme entspannte Stimmung beim Lido Sounds

Mit der Einladung von Johanna Sebauer war Klaus Kastberger ein Wagnis eingegangen: Ein dezidiert unterhaltsamer Text, das ist ungewöhnlich beim Bachmann-Preis. Die Rechnung ging auf.

Die Empörungsspirale

Mithu Sanyal schwärmte von dem „wahnsinnig gut geschriebenen Text“ namens „Das Gurkerl“. Mara Delius fand Form und Aufbau „extrem elegant“. Der Text, der eine typisch heutige Empörungsspirale wegen einer Nichtigkeit wie einem Essiggurkerl abbildet, sei „hochaktuell“ und „brillant“. In dieselbe Kerbe schlug Thomas Strässle und selbst Philipp Tingler fand es gelungen, wie hier ein „volkstümlicher Ton mit einer extrem feinen Beobachtung verbunden“ werde. Klaus Kastberger outete sich wenig überraschend als „absoluter Fan des Gurkerls“ und gab zuletzt noch einige technische Hinweise zur richtigen Einlage eines Gurkerls in eine Semmel.

Was bewerten wir hier?

Weniger harmonisch verlief die Diskussion um den Text „Es schlechter ausdrücken wollen. Oder: Ba,Da“ von Miedya Mahmod, Spoken Word-Artist aus dem Ruhrgebiet. Mahmod las auf Einladung von Mithu Sanyal, die von der „intrinsischen Polyphonie“ des Textes begeistert war. Strässle sah viele Themen darin verpackt, Schwens-Harrant vermutete den Grund, warum ihr nicht jedes Wort im Text geläufig war, in der darin angesprochenen Heimatsuche.

Philipp Tingler hielt es für problematisch für die Vergleichbarkeit von Texten, wenn …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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