Insektenanzahl in Österreich stabil? Warum das nur die halbe Wahrheit ist

Politik

Bauernbund-Präsident Georg Strasser (ÖVP) zitiert eine Studie zur Insektenvielfalt in Österreich falsch. Jetzt melden sich die Studienautoren zu Wort und widersprechen.

Seit Klima- und Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Montag gegen den Willen der ÖVP und möglicherweise gesetzeswidrig das österreichische Ja zum EU-Renaturierungsgesetz gegeben hat, gehen die Wogen hoch. Bundeskanzler Karl Nehammer sprach zuletzt im KURIER davon, dass das Gewessler „das gemeinsame Band durchschnitten“ habe. Die Regierungskoalition wollte der Kanzler letztlich aber nicht beenden. 

ÖVP-Parteikolleginnen und -kollegen betonen dennoch mögliche negativen Auswirkungen des EU-Gesetzes auf Österreichs Landwirtschaft.

Einerseits geht es um die Kosten von 154 Milliarden Euro, wie von mehreren ÖVP-Granden vorgebracht wurde. Nicht zitiert wird dann aber der Satz danach: „Im Vergleich dazu werden die erwarteten Vorteile voraussichtlich 1.860 Milliarden Euro erreichen – ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1:12 zugunsten der Vorteile. Die Kosten der Untätigkeit sind ebenfalls viel höher als die Wiederherstellungskosten und werden auf 1.700 Milliarden Euro geschätzt.“ 

Ein anderes vorgebrachtes Argument betraf die Situation der Insekten. In Deutschland gibt es dazu eine der größten Studien überhaupt, die Krefelder-Studie. Ergebnis: Drastische Bestandseinbrüche bei allen Insektenarten lassen sich klar nachweisen. Bei den Erhebungen in 63 deutschen Schutzgebieten zwischen 1989 und 2016 ist ein Rückgang von 76 Prozent (im Hochsommer bis zu 82 Prozent) der Fluginsekten-Biomasse festgestellt worden.  

Da überraschte es, dass der ÖVP-Nationalratsabgeordnete und Bauernbundpräsident Georg Strasser eine Studie des Landwirtschaftsministeriums zitierte, die im Jänner 2023 von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) präsentiert worden war. Strasser interpretierte diese, dass die Zahl der Insekten in Österreich in den „letzten 30 Jahren stabil geblieben ist – trotz Klimawandel. Wir sollten da am Boden der Wissenschaft bleiben“.

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Das alarmierte die Scientists4Future, die erklärten: „Ja, die Artenzahl hat in der Studie nicht generell abgenommen. Heißt das, die „Insekten sind stabil geblieben“? Nein.“

Und sie zitieren die Studienautorinnen und -autoren um Thomas Zuna‐Kratky, die festgestellt haben, „dass die mittlere Artenzahl der untersuchten Insektengruppe wenig abnahm“, allerdings „hat die Populationsdichte und die Artenanzahl an zuvor artenreichen Standorten österreichweit abgenommen“. 

Weiter heißt es von den Studienautoren: „Da wir festgestellt haben, dass die am  16.1.2023 von Bundesminister Totschnig präsentierte, österreichweite Insektenstudie (309 Testflächen über alle neun Bundesländer) medial oft einseitig und lückenhaft aufgegriffen wurde, sehen wir Autor*innen uns genötigt, eine ergänzende Darstellung zu veröffentlichen.

„Österreichweit wurde ein signifikanter Rückgang der Populationsdichten bzw. Biomasse von Heuschrecken und Fangschrecken sowie in Grünlandgebieten von Zikaden festgestellt. 
 
Die Artenzahl in zuvor artenreichen Standorten nahm österreichweit ab. Die besonders  wertvollen Biotope verloren also an Wert.  
 
Kälteangepasste Arten wurden durch wärmeliebendere Arten ersetzt – ein klarer Effekt  der Klimaerwärmung.  
 
Spezialisierte Arten nährstoffarmer Standorte verschwanden und wurden von anspruchsloseren Arten ersetzt  –  ein klarer Effekt des massiven Rückgangs nährstoffarmer, extensiv bewirtschafteter Flächen. 

„Negative Entwicklungen werden kaschiert“

Zudem stellen die Wissenschaftler fest: „Der Klimawandel ist also keineswegs der einzige Wirkfaktor, als weitere wesentliche Gründe für die Veränderungen des Insektenbestandes wurden identifiziert:

Starker Rückgang des Extensivgrünlands
Großflächige Intensivierung der Grünlandwirtschaft durch oftmalige Mahd und Gülledüngung
Fortschreitende Eutrophierung (Überanreichung an Nährstoffen, Anm.) führte zum Verlust nährstoffarmer Standorte‘
Verbreiteter Verlust von Sonderstandorten
Insektengifte
Verbauung und Versiegelung betrifft hauptsächlich artenreiche Standort

Zum Abschluss widersprechen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter Darstellungen, wonach mit den Insekten in Österreich alles in Ordnung sei, deutlich: „Es gibt daher keinen Grund für eine überwiegend positive Bilanz der Entwicklung der Insektenwelt. Durch die positive Wirkung der bisherigen Klimaerwärmung auf die Insektenvielfalt werden überdies manche negativen Entwicklungen kaschiert.“

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Source:: Kurier.at – Politik

      

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