Integrationsexpertin über Leitkultur: „Es geht um Würde und nicht um Ehre“

Politik

Wer nach Österreich komme, solle sich überlegen, auf was er sich einlasse, findet Integrationsexpertin Emina Saric. Dafür brauche es aber auch hier einen Grundkonsens über eigene Werte.

Dass die von der Bundesregierung angestoßene Leitkulturdebatte so kritisch aufgenommen wurde, stört die aus Bosnien stammende Grazer Geschlechterpädagogin. Was sie zu den Kalifat-Schreiern und ihrer eigenen Integrationsgeschichte sagt.

KURIER: Was soll das sein, eine österreichische Leitkultur?

Emina Saric: Ich würde den Begriff nicht verwenden. Spannender fände ich „Leitbild“ oder „Leitgedanken“. Jede Organisation hat ja ein Leitbild als Orientierungshilfe, also: „Wo befinden wir uns und mit welchen kulturellen Merkmalen?“

Und wo befinden wir uns?

Österreich hat eine lange Migrationsgeschichte und Erfahrung mit Flüchtlingskrisen. Ich nehme aber jetzt das Bedürfnis nach einer Besinnung oder einer neuen Aufklärung wahr. Man sollte den Wunsch, darüber zu sprechen, ernstnehmen.

Viele fühlen den Kern der christlichen österreichischen Kultur bedroht, weil eine stärkere Religion wie der Islam einzieht.

Ich verstehe das. Ich selbst bin 1993 nach Österreich geflüchtet. Meine erste Sozialisierung war nicht hier, aber ich konnte an ein langes, geschichtliches und kulturelles Erbe anknüpfen und mich weiterentwickeln. Ich glaube, dass man sich als Zuwanderer und Zuwanderin Gedanken darüber machen sollte, was einen hier in Österreich erwartet, wenn man dazu in der Lage ist. Wovon kann ich profitieren? Welche kulturellen Eigenheiten gibt es? Kann ich diese überhaupt annehmen?

Ist das ein Appell, sich zu überlegen, in welches Land man zieht und ob man überhaupt nach den hiesigen Regeln leben will?

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Ja, ich denke, dass es zu wenig passiert, daher finde ich die Debatte notwendig und auch fair den Zuwanderern gegenüber. Wer nach Österreich kommt, schlüpft in eine neue Rolle. Daher braucht er oder sie Orientierung.

Und dafür soll er/sie an der Grenze dann zehn Leitkultur-Gebote in die Hand gedrückt bekommen?

Nein, natürlich ist das ein Prozess, und er ist nicht leicht. Es soll ein faires Angebot sein, eine neue Chance zu ergreifen und sich individuell zu entfalten, frei von kollektiven Gruppenzwängen der Herkunftsgesellschaften. Die Zeitspanne, bis man Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich entwickelt hat, ist unterschiedlich. Ich bin jedenfalls dankbar für jede Unterstützung, die ich nach meiner Flucht bekommen habe, und fühle österreichisch-patriotisch.

kurier/Martin Winkler

Haben wir überhaupt noch eine christliche Leitkultur?

Ja, Österreich ist ein christliches Land, auch wenn es unterschiedliche Religionen gibt, die Rechte haben.

Könnte man also zusammenfassen: Wir sind multikulturell, wir sind tolerant, wir haben eine Aufklärung, es gibt Geschlechtergleichheit: Stehen diese Bilder für Österreich?

Absolut. Auch der Umgang miteinander, welche Sprache wir dafür verwenden. Das sind wichtige Werte, die wir weitergeben sollen. Die können sich im Laufe der Geschichte ändern, da Kultur etwas Dynamisches ist. Durch die Aufklärung haben wir zum Beispiel den Begriff „Ehre“ durch „Würde“ ersetzt.

Die ÖVP hat diese Debatte mit Maibaum und Lederhose beworben. War das verunglückt?

Ich sehe auch die Lederhose durchaus als Teil dieser Kultur.

Darf man eigentlich fragen, woher jemand kommt? Sie selbst sind im bosnischen Banja Luka aufgewachsen, haben in Sarajewo studiert.

Mich stört die Frage nicht. Aber manche Jugendliche, mit denen ich arbeite, beschweren sich und sagen zum Beispiel: „Hey, ich bin in der dritten Generation da, warum fragt man mich nur wegen meiner Hautfarbe, woher ich komme? …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

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