
Nirgendwo in Österreich war die Zerstörung verheerender als in Wiener Neustadt. Ganze 18 Gebäude von fast 4.200 Häusern oder Fabrikshallen blieben bis Kriegsende unbeschädigt. Ähnlich verheerend sah es in Villach und Klagenfurt aus. In Wien, wo knapp 8.800 Menschen durch die Luftangriffe umgekommen waren, war rund ein Fünftel der Gebäude nicht mehr bewohnbar.
Wie sollten die Menschen, die Dörfer, die Städte, das ganze Land die ersten Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs überstehen?
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Extreme Lebensmittelknappheit in den ersten Nachkriegsmonaten
„Ohne internationale Hilfe hätte Österreich nicht überleben können“, bestätigt der Historiker Hans Petschar, „es gab extreme Versorgungsprobleme, eine Hungersnot.“ Noch dazu kamen im ersten Nachkriegswinter ungewöhnlich kalte Monate auf die ohnehin geschwächte Bevölkerung zu.
Ein wenig Hilfe kam von der sowjetischen Besatzungsmacht – Lebensmittel wie Mehl und Erbsen. Doch den wesentlichen Anteil lieferte die andere Siegermacht, die USA. Die Versorgung mit Lebensmitteln blieb kritisch bis 1948. Erst waren es Überbrückungshilfen der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), die überwiegend von den Amerikanern finanziert wurden, und dann die berühmten braunen Care-Pakete, gefüllt mit lang haltenden, kalorienreichen Lebensmitteln, von Dosenfleisch über Käse bis hin zu Erdnussbutter, Schokolade und Kaugummi, die die Österreicher am Leben hielten.
Hilfe zur Selbsthilfe
Die wahre Wende aber kam 1947, nach zwei Jahren irgendwie Überlebens, wo der Wiederaufbau noch kaum in Gang gekommen war. Zu verdanken einem Mann, ohne den sich Österreich nach den verheerenden Verlusten und Zerstörungen nur viel langsam wieder aufgerichtet hätte: George Marshall. Nur 12 Minuten hatte die historische Rede des damaligen US-Außenministers am 5. Juni in Harvard gedauert. Angekündigt hatte der damals 67-jährige 5-Sterne-General einen Plan – der später unter seinem Namen weltberühmt werden sollte – wie Europa mit einer Form der amerikanischen Hilfe zur Selbsthilfe wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen kann.
Vorausgegangen war dem ein Treffen Marshalls mit dem sowjetischen Diktator Stalin im April 1947 in Moskau, schildert Historiker Petschar: „Marshall kam zutiefst enttäuscht über den fehlenden Fortschritt bei den Verträgen für Deutschland und Österreich zurück. Er hatte die berechtigte Sorge, dass Stalin mit einer Verzögerung des europäischen Wiederaufbaus sehr gut leben konnte und versuchen würde, immer mehr Kontrolle über Europa zu übernehmen.“
Tatsächlich wurden den bereits unter Einfluss der UdSSR stehenden Ländern Osteuropas von Moskau verboten, am Marshallplan teilzunehmen. Österreich aber ebenso wie 15 weitere westeuropäische Staaten konnten zugreifen, zu diesem historischen Projekt mit offiziellem Namen „European Recovery Program“ ERP – dem Marshallplan.
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Die Idee dabei: Österreich erhält amerikanische Waren, der Erlös aus dem Verkauf wird aber auf österreichischen Sonderkonten angelegt. Diese Mittel werden wiederum zur Kreditvergabe an österreichische Unternehmen verwendet, um Arbeitsplätze, Produktivität und Wachstum zu schaffen.
„Die ersten Lieferungen aus dem Marshallplan nach Österreich kamen im Juni 1948“, weiß Petschar. Zusammen mit seinem Historiker-Kollegen Günter Bischof zählt er zu den profundesten Kennern des Marshallplans – die beiden haben ein Buch darüber geschrieben.
„Im ersten Jahr waren es Grundnahrungsmittel wie Mehl und Getreide, aber später gegen Ende 1949, 1950, als das Schlimmste überstanden war, lieferten die USA immer mehr Industriegüter und landwirtschaftliche Maschinen. Damit sollte die Wasser- und Energieversorgung, die Landwirtschaft und auch …read more
Source:: Kurier.at – Politik