
„Wird Italien gerade zum Polizeistaat?“ Diese Frage stellen sich derzeit vor allem oppositionelle Italiener. Anlass zur Sorge ist das sogenannte Sicherheitsdekret, das am Donnerstag von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde und Anfang kommender Woche voraussichtlich auch im Senat grünes Licht erhalten wird. Dort gilt die Zustimmung als sicher – die regierende Mitte-rechts-Koalition tritt geschlossen auf.
Neue Verschärfungen
Das Dekret sieht insgesamt 14 neue Straftatbestände sowie neun Strafverschärfungen vor. Im Fokus stehen dabei Protestaktionen aller Art: Straßen- und Schienenblockaden, Demonstrationen gegen Großprojekte wie etwa den geplanten Bau der Brücke über die Meerenge von Messina, ebenso wie Unruhen und Widerstand in Gefängnissen. Weitere Bestimmungen betreffen die illegale Besetzung von Wohnraum sowie das Betteln in der Nähe von Bahnhöfen und U-Bahn-Stationen.
Strafen für Umweltaktivisten
Vor allem Umweltaktivisten – darunter Gruppen wie Extinction Rebellion – sind gewarnt: Was bisher als Ordnungswidrigkeit galt, wird nun zur Straftat. Verurteilungen können Geldstrafen von bis zu 300 Euro sowie Haftstrafen von bis zu zwei Jahren nach sich ziehen. Auch Protestaktionen vor Fabriken könnten künftig strafrechtlich verfolgt werden.
Eine spürbare strafrechtliche Verschärfung also. „Dieses Dekret wurde zum Großteil im Innenministerium erarbeitet – also der obersten Behörde der Polizei“, sagt Gian Luigi Gatta, Strafrechtsprofessor an der Universität Mailand und Vorsitzender des Italienischen Verbands der Professoren für Strafrecht (AIPDP), dem KURIER. „Das erklärt die starke Ausrichtung auf den Schutz der Sicherheitskräfte.“
Dieser wird auch dadurch verstärkt, dass Polizisten im Falle eines Gerichtsverfahrens mit einer staatlichen Unterstützung in Höhe von 10.000 Euro rechnen können.
Warnungen von Juristen
Das Dekret stößt jedoch nicht nur auf politischen Widerstand. Auch Juristinnen und Juristen, darunter Staatsanwälte und Verteidiger, äußern Bedenken – sie warnen vor einer gefährlichen Verschiebung hin zu einem repressiven Polizeistrafrecht. Um das Dekret genauer zu analysieren, hat die AIPDP in dieser Woche an zehn Universitäten im ganzen Land Seminare veranstaltet.
In Mailand wies ein Student dabei auf die neuen Vorschriften im Strafvollzug hin: Strafbar macht sich nun nicht nur, wer einen Aufstand in der Haftanstalt organisiert oder daran teilnimmt, sondern auch, wer „passiven Widerstand“ leistet.
„Damit ist der Widerstand gegen Maßnahmen gemeint, die angeblich der Sicherheit dienen“, erklärt Gatta. Und fügt an: „Im Gefängnis ist es sehr einfach zu behaupten, eine Maßnahme diene der Sicherheit.“ Wer gegen die neuen Vorschriften verstößt, riskiert bis zu fünf Jahre Haft.
Laut dem Häftlingsrechtsverband Antigone befinden sich derzeit 62.153 Menschen in Italiens Gefängnissen – bei einer offiziellen Aufnahmekapazität von nur 47.000. Platzmangel und seine Folgen sind eine der Hauptursachen für Unruhen hinter Gittern.
In der Parlamentsdebatte warf die Vorsitzende der Demokratischen Partei, Elly Schlein, der Regierung vor, das Land mit diesem Dekret strafrechtlich in das Jahr 1930 zurückzuversetzen – in die Zeit, als das faschistische Strafgesetzbuch „Codice Rocco“ in Kraft trat.
Gefängnis für Schwangere
Auch Professor Gatta zieht diesen historischen Vergleich – insbesondere in Bezug auf eine neue Regelung: „Noch nie zuvor musste in Italien eine schwangere Frau ins Gefängnis. Doch das wird nun möglich. Gemeint sind offenbar vor allem Roma-Frauen, die laut dieser Logik angeblich der Haft entgehen, weil sie ständig schwanger sind.“
Und schließlich stellt sich noch eine grundlegende Frage: Wie ist es möglich, dass eine Hausbesetzung und der tödliche Unfall eines …read more
Source:: Kurier.at – Politik