In der SPD werden die Rufe nach einem Kandidatentausch immer lauter. Am Dienstagabend tagte sogar der Führungszirkel – ohne Olaf Scholz. Allerdings gibt es auch Zweifel an der Alternative Pistorius.
Als er am Montag in den Regierungsflieger stieg, Kurs G-20-Gipfel in Rio, da war die Welt für Olaf Scholz noch in Ordnung. Einigermaßen zumindest. In der Sozialdemokratie sprachen sie da noch von einem „Grummeln“, was den Kanzler anging; die meiste Kritik kam von regionalen Abgeordneten ohne Gewicht.
Am Mittwoch, wenn Scholz wieder in Berlin aus dem Flieger steigt, wird einiges anders sein, vielleicht sogar alles. Während Scholz in Rio tat, was Kanzler so tun, wagten sich immer mehr seiner Genossen aus der Deckung: Gleich mehrere Bundestagsabgeordnete forderten seinen Rückzug, darunter selbst Vertreter der konservativen Bundestagsgruppierung Seeheimer Kreis, des größten Fan-Zirkels des Kanzlers (bei Empfängen gab es stets Kaffeetassen mit Olaf-Bild drauf). Und auch Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel machte, als hochrangigster SPDler bisher, seinem Ärger Luft: „Jetzt ist mutige politische Führung gefragt“, schrieb er auf X – und meinte damit eindeutig nicht Olaf Scholz.
Auf den letzten Metern
Tauscht die SPD ihren Kanzlerkandidaten also auf den letzten Metern aus – so wie es mit Joe Biden geschah?
Denkbar ist das durchaus. Bild, in solchen Angelegenheiten stets gut informiert, berichtete von einem Treffen der SPD-Führung am Dienstagabend, wo die sogenannte K-Frage debattiert werden sollte. Dass dort ein Putsch geplant wird, ist zwar unwahrscheinlich, denn mit dabei sind fast ausschließlich Genossen, die alle Fragen zu Scholz bisher abmoderiert haben; etwa die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil oder Generalsekretär Matthias Miersch. Doch allein, dass sie sich am Dienstag zusammensetzen, ist ein Alarmsignal – denn Scholz selbst sitzt da noch im Flieger.
Dazu kommt, dass die SPD keine Partei ist, die ihre Kanzler stürzt. Auch im deutschen Politbetrieb allgemein hat das keine Tradition – dass Angela Merkel Helmut Kohl per offenem Brief abmontierte, blieb eine Ausnahme in der Geschichte. Die Führung müsste Scholz also dazu drängen, aus eigenem Antrieb zurückzuziehen – genauso, wie die Demokraten das bei Biden taten.
REUTERS / Ricardo Moraes
Kanzler Olaf Scholz beim G-20-Treffen in Rio.
Zweifel an Pistorius
Bisher zögerte die Parteiführung dabei, weil man Zweifel am Gegenkandidaten hatte: Zwar ist Boris Pistorius, der schon seit Monaten als einzige Alternative zu Scholz gilt, unter den Wählern der mit Abstand beliebteste Politiker, während Scholz zuletzt erstmals sogar auf dem allerletzten Platz landete – hinter AfD-Chef Tino Chrupalla. Allerdings glauben viele in der Partei, darunter maßgebliche Taktgeber wie Klingbeil, dass sein Portfolio nicht breit genug für eine Kanzlerkandidatur ist: Pistorius war Bürgermeister und danach Innenminister in Niedersachsen, ist also ein erfahrener Politiker, was innerdeutsche Belange angeht. Soziales oder Pensionen, also die Dinge, mit denen die SPD immer Wahlkämpfe macht, sind ihm aber fremd.
Auch seine Position zur Ukraine polarisiert massiv, vor allem innerhalb seiner eigenen Partei. Viele von Ex-Kanzler und Putin-Intimus Gerhard Schröder abwärts sehen durch seine rückhaltlose Unterstützung Kiews und die Rufe nach einer starken Aufrüstung Deutschlands die alte, friedensbewegte, linke Linie der Sozialdemokratie gefährdet. Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gehört zu dieser Gruppe – und er hat bei der K-Frage ein gewichtiges …read more
Source:: Kurier.at – Politik