
Donald Trump steht an vorderster Front jener mächtigen Männer, die Gewaltenteilung für etwas Lästiges halten. Demokratieforscher Wolfgang Merkel sieht schon länger einen „Rückgang der Demokratie“.
In der Türkei lässt Recep Tayyip Erdoğan seinen größten Herausforderer verhaften, in Israel entlässt Benjamin Netanjahu seinen Geheimdienstchef. Von Ruanda aus schürt Paul Kagame einen Bürgerkrieg im Nachbarland Kongo und in Ungarn gab Viktor Orbán am Donnerstag bekannt, den Internationalen Strafgerichtshof verlassen zu wollen.
Seit der Machtübernahme von US-Präsident Donald Trump, so scheint es, fühlen sich autokratische Regierungschefs weltweit beflügelt und werden kühner. Macht es sie stark, dass selbst in Washington an demokratischen Institutionen gesägt wird? Der KURIER fragte beim deutschen Demokratieforscher Wolfgang Merkel nach.
David Ausserhofer
Politologe Wolfgang Merkel ist einer der renommiertesten deutschsprachigen Demokratieforscher.
KURIER: Fühlen sich Autokraten durch die Machtübernahme Donald Trumps in den USA ermutigt?
Wolfgang Merkel: Dies sind tiefergehende Entwicklungen, die nicht nur mit Trump erklärt werden können. Wir sehen seit fast zwei Jahrzehnten nicht nur eine Stagnation, sondern einen Rückgang der Demokratisierung in der Welt. Das Jahr 2008 ist da klar als Wendepunkt zu erkennen.
Damals begann ein leichtes Abschmelzen der Demokratie selbst in den stabilsten Regionen – in Nordeuropa, Ostasien, in Deutschland und, ich muss leider sagen, auch in Österreich. Die meisten Staaten sind heute weltweit nicht klar als Demokratien oder Autokratien einzuordnen, sie sind Mischformen wie Ungarn, das Polen Kaczynskis oder die Türkei Erdoğans.
In dieser Situation wurde Trump nun erneut gewählt. In seiner ersten Amtsperiode hat er noch keinen großen Einfluss auf die Autokratisierung der Welt nehmen können. Heute erleben wir allerdings einen US-Präsidenten, der wichtige Errungenschaften der sogenannten „ältesten Demokratie der Welt“ abträgt. Er tut dies mit einem Furor, der selbst bei ihm nicht zu erwarten war.
Ist Trump also ein Autokrat?
Trump ist kein systematisch-autoritärer Herrscher. Er ist tatsächlich ein Dealer, aufgewachsen in der mafiösen Immobilien-Welt Manhattans. Er glaubt an diese Art von Erpressungsdeals: Man schüchtert ein, man droht und will zum Schluss „kassieren“.
Das ist weder ein autoritäres System noch eine klassische Diktatur. Es ist das krude Verständnis einer majoritären Herrschaft: 50,1 Prozent der Wähler genügen, um 100 Prozent der Macht zu beanspruchen. Trumps Wirken ist stark personalistisch getrieben.
Gefährlich ist allerdings, dass er mit seinen Getreuen die Justiz kolonisiert und die Gewaltenteilung missachtet. Und da die USA das mächtigste Land der Welt sind, wissen wir, dass das weltweite Nachahmungseffekte produzieren wird. Trump wird also keine singuläre Episode bleiben.
Also haben die USA auch auf Autokraten eine Vorbildwirkung?
Die USA sind nicht nur die führende militärische und wirtschaftliche Supermacht, sondern verfügen auch über sogenannte Soft Power: Die ganze Welt schaut auf die US-Kultur, den Massenkonsum und versucht, die USA nachzuahmen.
Das politische System in den USA ist heute selbst eine hochgradig defekte Demokratie – mit einem aus der Zeit gefallenen Wahlsystem, plutokratischen Tech-Oligarchen und einer übergriffigen Exekutive.
Außenpolitisch pochten die USA oft auf Demokratisierung in der Welt, das ist jetzt vorbei. Bestärkt das Autokraten in der Welt?
Ich glaube nicht, dass sie immer darauf pochten. Das war immer ein Beschönigungsnarrativ. Schon 1973 sagte Ex-US-Außenminister Henry Kissinger über den von der CIA gestützten …read more
Source:: Kurier.at – Politik