Was passiert mit den inhaftierten IS-Kämpfern in Syrien?

Politik

Die Türkei fordert die Herkunftsländer zur Rückholung ehemaliger IS-Kämpfer aus Syrien auf. Dahinter stecken auch eigene Interessen.

„Mit dem Angebot unserer Unterstützung, aber auch klaren Erwartungen an die neuen Machthaber“ reiste die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag mit ihrem französischen Amtskollegen als erste EU-Außenminister seit dem Machtwechsel nach Damaskus. Baerbock plädierte dafür, Syrerinnen und Syrern „gleich welcher ethnischen und religiösen Gruppe einen Platz im politischen Prozess“ einzuräumen.

Ein Händeschütteln mit Syriens neuem Machthaber, dem Chef der Terrorgruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Ahmad Al-Sharaam, blieb Baerbock allerdings verwehrt; Al-Sharaam reichte seine Hand nur dem männlichen französischen Außenminister Jean-Noël Barrot.

APA/AFP/SANA/-

Annalena Baerbock und Jean-Noel Barrot neben Ahmed Al-Sharaa, 3. Jänner 2025.

Die politische Zukunft Syriens ist nach wie vor unklar. Laut Übergangsregierung könnte es bis zur neuen Verfassung drei Jahre, bis zu Wahlen ein weiteres Jahr dauern. Zuletzt haben die neuen Machthaber eine Angehörige der Minderheit der Drusen zur Gouverneurin der südsyrischen Provinz Sweidah ernannt – es ist das erste Mal, dass eine Frau dieses Amt innehat. Gleichzeitig gab es Diskussionen über Lehrpläne und Schulbücher, in denen die Rolle des Islams verankert und dafür Inhalte wie die „Ursprünge und die Evolution des Lebens“ gestrichen werden sollten. Die Änderungen lösten Empörung in den sozialen Medien aus, das neue Bildungsministerium zog sie daraufhin zumindest teilweise zurück. Hoffnung auf ein progressives Verhalten der Übergangsregierung bereiten vielen die anhaltenden Proteste der Zivilgesellschaft in Damaskus, die Minderheitenrechte und die Partizipation von Frauen einfordern. 

Über 50.000 Inhaftierte

  Koalition geplatzt: ÖVP und SPÖ haben erstes Treffen nach dem Eklat

Eine ähnliche Ungewissheit gilt für die IS-Gefängnisse in den kurdisch kontrollierten Gebieten im Nordosten Syriens, in denen rund 10.000 Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) und mehr als vier Mal so viele Frauen und Kinder festsitzen. Der jüngste Anschlag eines IS-Anhängers in New Orleans lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die „tickenden Zeitbomben“, wie Experten die Gefängnisse nennen.

Geht es nach der Türkei, soll die neue Regierung die Kontrolle aller Lager, in denen IS-Anhänger einsitzen, übernehmen. Der türkische Außenminister Hakan Fidan stellte zudem eine Forderung, die bei vielen Herkunftsländern der Insassen bisher auf taube Ohren stieß: Alle inhaftierten IS-Anhänger sollen zurückgenommen werden. Auch die kurdischen Kräfte hatten dazu wiederholt aufgerufen.

Unter den Inhaftierten aus 74 Ländern sind mindestens zwei Österreicherinnen samt Kindern, um deren Ausreise seit Jahren gestritten wird. Im Oktober 2024 urteilte das Bundesverwaltungsgericht: Zumindest die Österreicherin Maria G. und ihre Kinder müssen zurückgeholt werden. Vom Außenministerium hieß es nach dem Machtwechsel laut Standard, „dass die aktuellen Entwicklungen in der Region die Umsetzung der Rückholung erschweren“.

Der Irak dürfte demnächst 500 Staatsangehörige (neben Syrern die größte Gruppe Inhaftierter) zurücknehmen, berichtete der kurdische Fernsehsender Rûdaw. Offiziellen Angaben zufolge hat der Irak in den vergangenen Jahren 10.000 Häftlinge zurückgeholt.

EPA/AHMED MARDNLI

Im Gefangenenlager al-Hol in Nordost-Syrien sitzen Zehntausende Frauen und Kinder ehemaliger IS-Kämpfer.

Türkei will kurdische Autonomie schwächen

Die Türkei, Unterstützerin und Nutznießerin der HTS, hegt hinter ihrer Forderung und dem Angebot, bei der Kontrolle der Gefängnisse „zu helfen“, auch eigene Interessen: die Autonomie der Kurden in der Region schwächen. Ankara sieht die kurdisch dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) als Ableger der Terrororganisation PKK und fordert schon lange eine 30 Kilometer breite „Pufferzone“ in der …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

(Visited 1 times, 1 visits today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.