
Die Debatte über die höchste Kartellstrafe in der Geschichte, die im Februar über den Rewe-Konzern (Adeg, Billa, Bipa, Penny) verhängt wurde, reißt nicht ab. Auch Rainer Trefelik, Handelsobmann in der Wirtschaftskammer (WKÖ), kritisiert nun die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH).
„Normalerweise melde ich mich bei solchen Themen nicht zu Wort. Immerhin sind höchstgerichtliche Urteile natürlich zu respektieren“, sagt der Branchenvertreter dem KURIER. In diesem Fall sehe er aber Potenzial, dass die Gerichtsentscheidung den Wirtschaftsstandort Österreich „nachhaltig gefährdet“.
Rewe war im Februar zu einer Kartellstrafe von 70 Millionen Euro verurteilt worden, weil das Unternehmen die Verkaufsfläche eines anderen Lebensmittelhändlers übernommen hatte und diesen Zusammenschluss nicht bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) angemeldet hatte.
OGH wollte „ein Exempel statuieren“
Trefelik hält fest, wie wichtig es sei, Verstöße zu ahnden. Auch im Sinne kleinerer Unternehmen, die „im Wettbewerb mit den Großen häufig straucheln“. Die Höhe der Strafe gegen Rewe erweckt für ihn aber den Eindruck, der OGH habe „ein Exempel statuieren wollen“.
„Auch ein großer Konzern zahlt solche Beträge nicht aus der Portokasse“, sagt Trefelik. Rewe beschäftige in Österreich Tausende Mitarbeiter, habe viel in den Standort investiert und trage entscheidend zur Lebensmittelversorgung im Land bei. Eine solche Strafe an einen so wichtigen Konzern hält der Handelsobmann für „das falsche Signal“.
Das Urteil sei auch nicht nur den Lebensmitteleinzelhandel alarmierend, sondern betreffe die gesamte Branche. Trefelik verweist etwa auf Filialen des Möbelkonzerns Kika/Leiner-Konzerns, die nach der Pleite leer stehen und nun von Mitbewerbern übernommen werden.
Strafen könnten immer höher werden
Trefelik kritisiert auch die Höhe der Geldbuße angesichts des „kleinen Fehlers“, der Rewe passiert sei: „Eine unterlassene Anmeldung ist eine Formalität. Welche Strafe soll ein Gericht verhängen, wenn wirklich etwas passiert?“
Er befürchtet, dass sich Strafen künftig immer weiter nach oben entwickeln. „Da geht es dann schnell um Beträge, die für Unternehmen existenzbedrohend sein können.“
Im Rekursverfahren hatte der OGH zur Bemessung der Strafe nicht den Rewe-Jahresumsatz in Österreich, sondern den weltweiten Konzernumsatz von 92 Milliarden Euro herangezogen. Das Gesetz sieht eine Höchstbuße von 10 Prozent des Jahresumsatzes vor. Somit wären im Fall Rewe bis zu 9,2 Milliarden Euro möglich gewesen.
Auch wenn die Strafe letztendlich geringer ausgefallen ist, stößt sie in der juristischen Fachwelt bei vielen auf Unverständnis. Der Verfassungsjurist Christian Piska von der Universität Wien etwa kritisiert, dass für einen Sachverhalt mit rein regionaler Bedeutung der Umsatz des Mutterkonzerns zur Berechnung herangezogen wurde.
Vergleichbare Urteile auf europäischer Ebene
Auch Maria Mercedes Ritschl, Rechtspolitikexpertin bei der Industriellenvereinigung, kann das OGH-Urteil nicht nachvollziehen. Zwar gebe es auf europäischer Ebene ähnliche Entscheidungen, die Fälle in denen solche Summen verhängt wurden, seien aber nicht mit dem Vergehen von Rewe vergleichbar. „Wir sprechen da von mehrjährigen vorsätzlichen Preisabsprachen. Das ist eine ganz andere Größenordnung“, sagt Ritschl.
Für den heimischen Standort bringe diese unerwartete Entscheidung eine große Unberechenbarkeit: „Unternehmer können sich auf Vieles einstellen, aber nicht auf fehlende Rechtssicherheit“, so Ritschl.
Rewe zieht nun vor den EGMR
Rewe steht gegen die Entscheidung des OGH kein innerstaatliches Rechtsmittel mehr zu. Der Konzern gab bereits im März bekannt, wegen der Entscheidung vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen zu wollen.
Eine baldige Entscheidung ist …read more
Source:: Kurier.at – Wirtschaft