
Die jüngste Nachricht aus Brüssel, wonach Österreich beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht in der EU ist und heuer als einziges Land mit einem schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt bei gleichzeitig überdurchschnittlich hoher Inflation zurecht kommen muss, sitzt noch allen Experten in den Knochen.
Zuletzt haben WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Chef Holger Bonin am Tabu gerüttelt, sich nicht in die Verhandlungen der Sozialpartner einzumischen und öffentlich Lohnzurückhaltung gefordert. Scharfe Kritik der Gewerkschaft war die Folge („Zurufe letztklassig“).
Die wirtschaftsliberale Agenda Austria geht nun in einer neuen Publikation mit dem Titel „Lohnverhandlungen: Wie Österreich zum kranken Mann Europas wurde“ einen durchaus provokanten Schritt weiter. Der Autor, Agenda-Ökonom Jan Kluge, fordert das Aus für die bei der Gewerkschaft heiligen Benya-Lohnformel. Als Vorbild und Alternative dienen ihm die deutschen Haustarifverträge, bei denen Großkonzerne wie VW eigene Lohnabschlüsse mit ihren Betriebsräten ausverhandeln.
Verhandlungen auf Betriebsebene
Die Gegenargumente sind bekannt: Haustarifverträge schwächen die Verhandlungsmacht der Gewerkschaft und werden deshalb arbeitnehmerseitig strikt abgelehnt. Außerdem bräuchte es dazu gesetzliche Änderungen. Die Politik solle diesen Spielraum für Lohnverhandlungen auf Betriebsebene eröffnen, fordert Kluge. Vor allem durch die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft von Unternehmen bei der Wirtschaftskammer. Denn, so der Ökonom: „Wer Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft sein muss, kommt aus dem jeweiligen Kollektivvertrag nicht heraus.“
Insofern wird die Papierindustrie gelobt. Sie ist im Mai erstmalig zu einem KV-Abschluss gekommen, der die wirtschaftliche Lage des jeweiligen Betriebes berücksichtigt. Für den Agenda-Experten „ein erster Schritt in die richtige Richtung.“
Formel dient Kaufkrafterhalt
Hintergrund ist: Die in Österreich seit Jahrzehnten „gültige“ Benya-Formel, benannt nach dem legendären Gewerkschaftsboss Anton Benya (1912 – 2001) besagt, dass die Grundlage von KV-Verhandlungen stets die Inflation der zurückliegenden zwölf Monate plus das Produktivitätswachstum zu sein hat. Das dient – ganz zentral – dem Kaufkrafterhalt.
Bei Österreichs überdurchschnittlich hoher Inflation ist aber auch klar, dass die Formel zu höheren Lohnabschlüssen als im EU-Ausland führt. Mittlerweile liegen Österreichs Löhne um fast elf Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Eurozone.
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Weil es seit längerem auch kein Produktivitätswachstum mehr gibt, sind Österreichs Lohnstückkosten davon galoppiert. Anders formuliert, Österreich verliert an preislicher Wettbewerbsfähigkeit.
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Die Lohnstückkosten gelten als wichtige Vergleichsgrößen im internationalen Wettbewerb. Sie sind seit Jahren viel stärker gestiegen als in allen anderen westeuropäischen Industrieländern.
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Kunden österreichischer Exportbetriebe im Ausland sehen deshalb, sagt Kluge, dass „Made in Austria“ teurer geworden ist als „Made in anywhere else“ – und Exportbetriebe bald „gewaltige Probleme“ bekommen.
Staat als schlechtes Vorbild
Kritik übt die Agenda aber nicht nur an der Benya-Formel und dem „one-size-fits-all“-Prinzip der Kollektivverträge, sondern auch am Staat und seinen Beamtenabschlüssen seit 2023. Kluge: „Der Staat muss mit gutem Beispiel vorangehen. Die Löhne der Beamten müssen der gewerblichen Wirtschaft folgen, von der sie leben. Nicht umgekehrt.“
Source:: Kurier.at – Wirtschaft