„Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen“

Kultur

Standing Ovations im Burgtheater: Amos Gitai macht mit „Chronik eines Mordes. Jitzchak Rabin“ tief betroffen

Man muss dem israelischen Architekten, Künstler und Filmemacher Amos Gitai konzedieren, hochgradig manipulativ zu sein: Er schafft es spielerisch, dass man eine Wut auf Benjamin Netanjahu entwickelt – und dem Premierminister von Israel eine Mitschuld an den unheilvollen Entwicklungen gibt, die zum Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 führten.

Gitai beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Ermordung von Jitzchak Rabin am 4. November 1995 – unter anderem in einer Ausstellung, die derzeit in Madrid zu sehen ist: Er drehte eine Doku, einen Spielfilm, und 2016 wurde in Avignon das Stück „Chronik einer Ermordung“ uraufgeführt. Für zwei (nur zwei!) Vorstellungen in der Burg hat er es neu einstudiert – mit Bibiana Beglau, die am Samstag krankheitshalber ausfiel, worauf Dörte Lyssewski kurzfristig und bravourös deren Parts übernahm.

Veränderungen hat Gitai bewusst keine vorgenommen. Was dazu führt, dass man die Diskrepanz zwischen dem – so der Regisseur im Programmheft – „wahrhaften Bemühen“ von Rabin um einen Frieden und dem „grausamen Krieg heute“ noch viel deutlicher empfindet.

Gitai stößt sein Publikum, das vielleicht nur eine vage Ahnung vom Osloer Friedensprozess (ab 1993) zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation unter Jassir Arafat zur Lösung des Nahostkonflikts hat, brutal ins Wasser. Zumal er mit dem Jom Kippur-Krieg (1973) beginnt, um sich vorzustellen: Er wurde zum Militär eingezogen und verletzt, weil eine Rakete den Hubschrauber mit ihm an Bord traf.

  All You Need Is ... Geld: Paul McCartney erster britischer Musik-Milliardär

Doch schon bald hat Leah, die Witwe nach Jitzchak Rabin, das Wort. Mit ihr erlebt das Publikum den letzten Tag des Premierministers mit, der von Netanjahu und den Rechten geradezu verteufelt wurde: Sie bezeichnet diese als „Unkraut“ – und da reißt es jeden, der die Diktion des NS-Regimes kennt. Doch es geht rasant weiter: zur Kundgebung in Tel Aviv, bei der Rabin eine denkwürdige Rede hielt: „Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch dies als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war.“

Keine Platzpatronen

Unmittelbar danach fielen Schüsse. Nein, es waren keine Platzpatronen gewesen. Leah Rabins Bericht zwischen Hoffen und Bangen, vorgetragen von Dörte Lyssewski an einem langen Tisch, berührt zutiefst. Immer wieder treten die Sopranistin Magdalena Hallste und der Wiener Kammerchor auf. Zusammen mit vier grandiosen Musikern bestreiten sie ein Requiem mit Britten, Ravel, Ligeti etc.: Von Alexey Kochetov (der seiner Geige kreischende, an eine E-Gitarre erinnernde Töne entlockt) erklingt unter anderem „Lament for Yitzhak“.

Marcella Ruiz Cruz

Dann beginnt Gitai nochmals – um die politische Situation Anfang der 90er-Jahre und die brutale Siedlungspolitik Israels zu erklären: Die Palästinenser im Westjordanlands waren im großen Stil enteignet worden. Rabin bekannte eine Mitschuld ein, er wollte Gerechtigkeit widerfahren lassen, was Netanjahu und der Likud Partei gegen den Strich ging: „Mit Blut und Feuer werden wir Rabin vertreiben.“ Die Anhänger skandierten: „Tod für Rabin.“ Und Jigal Amir erschoss ihn mit seiner Beretta 9 Millimeter. Tiefe Betroffenheit nach rund 100 Minuten und Standing Ovations.

…read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

(Visited 1 times, 1 visits today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.