
Elegant-stilisiertes Science-Fiction-Drama um ein Paar mit Kinderwunsch, das zuvor noch eine Prüfung bestehen muss
Wer ein Kind will, muss zuerst die Elternmatura schaffen. So sehen es die strengen Regeln einer futuristischen Welt nach der Klimakatastrophe vor, in der jede Art der Fortpflanzung als Ressourcenbelastung gilt. Weil aber Mia und Aayran – beides Wissenschafter – als wertvolle Mitglieder ihrer höchst restriktiven Gemeinschaft gelten, dürfen sie einen Antrag auf Fortpflanzung stellen. Doch erst, wenn „the assessment“ – die Beurteilung – positiv verlaufen ist, bekommen sie dazu die Erlaubnis. Dementsprechend groß ist ihre Aufregung, als eine junge Frau namens Virginia vor der Tür steht und sich als „Assessor“ vorstellt: Eine Woche lang wird sie Lebenssituation von Mia und Aaryan beobachten und dann ihr finales Urteil abgeben.
Die schwedische Oscarpreisträgerin Alicia Vikander verkörpert die kühle Virgina in Kittelschürze als eine Mischung aus Klosterschwester und Sowjet-Kommissarin. Mit unbewegter Miene steht plötzlich nachts im Zimmer des Ehepaars und sieht beim Sex zu – „weil ich alle Aspekte eurer Beziehung beurteilen muss“. Am Frühstückstisch spuckt sie das Essen aus – wie es kleine Kinder gerne tun – und bringt Mia mit lautem Geschrei aus der Fassung. Außerdem spielt sie geschickt die „Eltern“ gegeneinander aus: Mal schmiegt sie sich als „Papa-Kind“ an den geschmeichelten Aayran, mal kuschelt sie sich „nach einem Albtraum“ zwischen den Eheleuten ins Bett. Als ein paar Gäste zu einer Dinnerparty erscheinen, läuft das Leben der „Kleinfamilie“ mit seiner „schlimmen Tochter“, die provokant auf den Boden pinkelt, komplett aus dem Ruder.
Polyfilm
Spielt das schlimme Kind: Alicia Vikander in „The Assessment“
Tiefkühltruhe
Bislang war die französischen Regisseurin Fleur Fortuné vor allem als Musikvideo-Regisseurin – etwa für Drake und Travis Scott – tätig. Ihr Langfilmdebüt „The Assessment“ besticht mit eleganter Sci-Fi-Stilsicherheit. Das Wohnhaus der Möchtegern-Eltern, ein brutalistischer Bunker am Ufer des Meeres, vermittelt die Heimeligkeit einer Tiefkühltruhe. In den düsteren Innenräumen sorgt makellos modernistisches Setdesign für sterile Stille zwischen Beton und Spannteppich.
Polyfilm
Kinderwunsch: Himesh Patel und Elizabeth Olsen in „The Assessment“
Das Psychodrama zwischen den drei Hauptfiguren – exzellent verkörpert von Elizabeth Olsen als verunsicherte Mutterschaftsanwärterin, Himesh Patel als ihr vorgeblich feinfühliger Beziehungspartner und Vikander in der Rolle der gnadenlosen Aufpasserin – nimmt grimmige Wendungen vor schwarzhumorigem Hintergrund. Aber Fortuné treibt ihre Geschichte nicht nur durch „plot points“ voran, sondern staffiert ihre dystopische Welt atmosphärisch gekonnt mit Oberflächen wie künstlichem Fell aus, das im krassen Gegensatz zur Sehnsucht der Protagonisten nach warmer Haut steht.
Dass am Ende alle Geheimnisse gelüftet werden, ist schade für einen Film, der so eindrucksvoll von seinem Mysterium profitiert hat.
INFO: GB/D/USA 2024. 114 Min. Von Fleur Fortuné. Mit Elizabeth Olsen, Alicia Vikander.
Source:: Kurier.at – Kultur